Rund wie die Erde
beruhigende SeÃhaftigkeit und reicht nicht weiter als bis Plattling. Fürs Herumkommen haben Gott sei Dank die Kriege gesorgt.
Auf der Flucht vor den rheinhessischen Mädchen ist Battist wieder vorbeigekommen, hoch und mächtig empfängt er uns an der Tür, und auch die bayrischen Mädchen können ihre Blicke nicht von ihm wenden, wie man an den unseren sehen kann, die mitten in der Woche mit frischen Schürzen herumstehen und über ihre eigenen FüÃe fallen, die in Kirchgehschuhen stecken. Er schaut in die Schüsseln.
Wenn man bei euch ist, macht ihr immer aus dem schönen Zeug diesen süÃen Krempel. Brennen müÃt ihr es! Oder zumindest Wein draus machen, obwohl das auch Weiberzeug ist. Johannisbeerwein! Stachelbeerwein! Heidelbeer-Erdbeer-Brombeerwein! Lauter Büchsenöffner! sagt er und lacht, daà die Biedermeiermöbel auf ihren armseligen Beinchen zu zittern anfangen.
Da kenn ich welche, die sind mit dem Beerenzeug ihr Leben lang Alkoholikerinnen gewesen und haben sechzig Jahre lang dem Pfarrer erzählt, sie hätten auÃer dem MeÃwein noch nie was angerührt.
Was erzählst du für furchtbare Sachen vor dem Kind, sagt Kitty und lacht, weil sie keinen Menschen auf der Welt mehr liebt als ihren kleinen Bruder. Mir geht es genauso, und ich kann nicht genug Geschichten hören, wie sie ihn im Ersten Weltkrieg ins Gefängnis gesteckt haben, weil er zehn Tage lang vierundzwanzig Stunden gesungen hat: Es ist so schön, Soldat zu sein, damit er keiner zu sein brauchte. Oder wie er im ersten Tonfilm seines Lebens als groÃer Mann und Herzensbrecher so geweint habe, daà die Tränen in breiten Bächen unter der Kinotür herausgelaufen seien, oder wie er, als der Sarg eines lieben Freundes nicht in das Erdloch passen wollte, der Trauergemeinde zärtlich zurief: Ei nemmt'n doch widder mit hääm! Der will doch gor net! Und basta, es wird
kein Schnaps gemacht, nicht einmal für dich! sagt Kitty, und ich lauere, ob sie mich dalassen, wenn er zu erzählen anfängt, oder ob sie mich hinausschmeiÃen. Man weià es nie vorher.
Manchmal haben sie mich auch schon versehentlich dagelassen, und ich lerne fürs Leben. Zum Beispiel, daà es Dinge gibt, die man im fünften Monat besser nicht mehr tut, und daà die ansonsten eher langweilige Tante Hedi mit ihren gehäkelten Samthüten und ihrer Lispelstimme etwas Hochinteressantes ist, was nymphoman heiÃt und nicht bei uns im Wörterbuch steht. Und daà die sogar ihm, Battist, zu anstrengend sei. Sie rede danach immer so viel und wolle, was noch schlimmer sei, auch zu viel hören.
Diesmal schmeiÃen sie mich hinaus, und bevor ich ihn hätte ein biÃchen für mich allein haben können, ist er schon wieder weg.
Sie werden schon rot! sagt irgendwann jemand mit einer kleinen Traurigkeit in der Stimme, und ein paar Wochen später heiÃt es: Jetzt sind die ersten schon schwarz! Und Kittys Gatte hat vom Wagen aus ergiebige Hecken erspäht, die er â natürlich ohne seine Mithilfe â abzuernten befiehlt. Brombeeren, die sich, wie jeder weiÃ, dem Sammler nicht kampflos ergeben. Eigentlich der Sammlerin. Männer sammeln keine Beeren, obwohl mir scheint, daà grade Brombeeren in den Männern das Kriegerhandwerk ansprechen könnten. Mich fragt aber keiner, und es werden Eimerchen verteilt, Handschuhe nicht, denn mit denen hat man nicht den richtigen Griff. Manchmal geht der Hausherr mit und beaufsichtigt das Sammelpersonal.
Für mich hat er ein besonderes Spiel, das mich für Stunden vom Sammeln dispensiert und das ich nicht nur deswegen liebe. Er deutet auf irgendwelche Gewächse, ob im Wald
oder am Waldrand, ob an Feldwegen oder bewachsenen Trümmern â wohin den kleinen Trupp eben der Brombeerfeldzug führt â, er deutet und fragt: Wie heiÃt das?
WeiÃichnicht ist eine in unserer Familie unbekannte Antwort. AuÃerdem besuche ich eine Nonnenschule, und da, wie jedermann weiÃ, Pflanzen die einzige Art Natur sind, von der die was verstehen dürfen, setzt er einen hohen Kenntnisstand voraus, den er allerdings nie nachprüft.
Ich beginne vorsichtig: Giersch, sage ich, oder: Kuckucksnelke. Da ihn diese Antworten zu langweilen scheinen und ich die meisten Pflanzen nicht kenne, versuche ich es einfach â der gemeine RuÃquendel, sage ich, kreuzblütiges Fünfzehntalerkraut,
Weitere Kostenlose Bücher