Rund wie die Erde
wer hält schon jeden Tag eine Geliebte und dann noch immer eine andere aus? Im gleichen Artikel wird behauptet, daà in jedem Mann ein »Suppentiger« stecke, worunter man sich auch nur schwer etwas vorstellen kann. Zwar kennt man Suppenhühner, Suppengemüse, Suppenknochen und Suppennudeln, aber der Suppentiger mutet wie die Suppenschildkröte politisch unkorrekt an.
Ein anderes Blatt hat sich darauf recht maliziös geäuÃert, als wäre das Thema insgesamt ein Witz, und das ist es eben nicht!
Alles flieÃt. Die Suppe ist die einzige Nahrung, die ohne Gewalttaten auskommt, sie verlangt keinen BiÃ, kein AbreiÃen von Fetzen, kein Zermahlen und Zermalmen, nur ein zierlich-stummes Schlürfen und gelegentlich ein zartes Zerdrücken der Einlage mit der Zunge. Sie besänftigt, aber sie stärkt auch, sie ist auf dem Krankenlager so brauchbar wie auf dem Liebeslager, und wer denkt, das eine sei Haferschleim
und das andere Consommé double mit Sherry und Shiitake-Pilzen, kann's ja auch mal umgekehrt versuchen.
Sie kommt lässig-urban daher in albernen, kleinen TäÃchen oder archaisch in schweren Terrinen. Welcher junge Haushalt hat noch eine Suppenterrine, nicht für Hortensientöpfe, sondern zum Erhalt der Familie? Na bitte. Wir kennen das Ergebnis der Suppenlosigkeit: Gewaltbereitschaft und hohe Scheidungsraten.
Hans Fallada verdanken wir die schöne Kindheitserinnerung, wie bei einem Hausbrand seine GroÃmutter einzig die dampfende Terrine gerettet habe, allerdings sei die GenieÃbarkeit der Suppe (denn es muà doch gegessen werden, Brand hin oder her) ein wenig beeinträchtigt gewesen, da die umsichtige Frau auch das Zweitwichtigste in die Suppe getan hatte â ihr Strickzeug.
Damals war die Keimzelle einer Suppe nicht die Tüte, aber auch die ist ein Plädoyer wert, wir werden schon sehen.
Zur Zeit von Falladas GroÃmutter war Suppe eine Klassenfrage, manche kochten so viel Fleisch aus, daà es für eine Kleinbürgerhochzeit gereicht hätte und warfen die Kostbarkeiten weg, nur die Essenz wurde gegessen. Andere waren froh, wenn sie ein Löffelchen Fett auftrieben, in das konnte man gehackten Ampfer, Gundelrebe und Radieschenblätter werfen, anschwitzen, würzen und aufgieÃen â das kann man übrigens immer noch so machen, etwas Rahm dran und ein paar Brotwürfel, und alle Armut, alles Leid ist Löffel für Löffel vergessen.
Ja, die Tüte: Etwa zu den Zeiten, als im Rezeptbuch der Fabrikbesitzersgattin für eine Grünkernsuppe zwölf Eigelb befohlen wurden, lieà der Ernährungszustand der ersten Industriearbeiter sehr zu wünschen übrig. Sie hatten keine Zeit,
sich eine arme Suppe zu kochen und wärmten den Magen mit Schnaps. Das lieà den Schweizer Müller und Erfinder Julius Maggi nicht ruhen, und er experimentierte mit Trockengemüse und Dörrerbsen so lang, bis ihm ein brauchbarer Grundstoff gelang. HeiÃes Wasser dazu, kein Schnaps mehr nötig, zumindest nicht so viel wie vorher. Der Schweizerische Wohlfahrtsverband unterstützte seine Arbeit.
Man kann die Uhr nicht mehr zurückdrehen und muà dem erfinderischen Müller dankbar sein. Ohne ihn wäre die Suppe vielleicht ausgestorben. Und gleich danach die Menschheit. Natürlich jagen HeiÃe Tasse und Fünfminutenterrine dem wahren Suppenaficionado kalte Schauer über den Rücken â aber wer als Student den Gelberbsen, TrockenklöÃchen oder Sternchennudeln das folgenlose, ja fröhliche Ãberstehen des Suffs verdankte, wird als Erwachsener bereit sein, einem alten Huhn oder einer Ochsenbeinscheibe im Topf ruhevoll zuzuschauen.
Man sieht, es geht um die Suppe als solche, den Krieg zwischen klar und gebunden soll diese kleine Schrift nicht entscheiden helfen. Er ist ja so wirr und unnötig wie fast alle Kriege, wenn auch das Argument, in einer gebundenen Suppe lasse sich mehr verstecken als in einer klaren, nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Wer sich aber jemals die Mühe gemacht hat, aus Tomaten, die dem niederländischen Schönheitsideal (wie die Königin: rund, schnittfest, immer gleich und rötlichen Gesichts) nicht entsprechen, eine Suppe zu kochen, wird ein Fan des Versteckens werden. Ja, die Suppe ist geradezu ein Gegenprogramm zum Jugendlichkeits- und Glättewahn: Runzlig und überreif dürfen die Gemüse sein, die man für die Suppe püriert, und daÃ
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