Rune der Knechtschaft
Dolch in die Kehle.
Der Leichnam sank langsam zu Boden, und Arekh bemerkte mit einer gewissen Erheiterung, dass er Harrakins Befehl nicht gehorcht hatte, während die Kuppel des Arrethas-Tempels mit derartigem Getöse einstürzte, als sei das Ende der Welt gekommen.
KAPITEL 18
Die folgenden Tage über sammelten die Diener die Leichen ein, streuten Sand und Kies über die Blutspuren und entfernten die angesengten Wandteppiche. Die besten Steinmetze der Hauptstadt begannen, die schrecklichen Wunden des Tempels zu heilen.
Die Kuppel wurde vorerst durch ein rotes Tuch ersetzt; es würde Jahre dauern, das zierliche Buntglasmosaik zu rekonstruieren.
Aber das Mosaik spielte keine Rolle. Die Zerstörung spielte keine Rolle.
Trotz der Zahl der Toten und trotz der Verluste, trotz der Katastrophe, der man nur knapp entronnen war, badete der Hof in süßer Euphorie: der des Sieges. So nahe am Desaster vorbeigeschrammt und doch entkommen zu sein, den Erbfeind noch einmal besiegt zu haben, obwohl er von einem Verräter unterstützt worden war - all das hatte eine Flamme enthüllt, die die Palastbewohner noch nie in sich wahrgenommen hatten, und es gab keinen Höfling, keinen Diener, keinen Botenjungen, der sich nicht zumindest teilweise für den Triumph verantwortlich fühlte. »Sie« hatten gesiegt, und ein Funken von Heldentum fiel sogar für die noch ab, die während der Schlacht zitternd hinter einer Säule Schutz gesucht hatten.
Die Sonne strahlte, der leichte Wind flüsterte von Hoffnungen, Verheißungen und Neuanfängen. An den Wänden erblühte die Saani , eine Rankpflanze, die jedes Jahr nur einen halben Mond lang Blüten trug; das wurde von allen als Zeichen der Zufriedenheit der Götter gewertet. Alte Clanfeindschaften und alter Groll wurden begraben, als hätte das Blut Jahre der Intrigen und Verbrechen abgewaschen.
Und Arekh erlebte etwas, was ihm bisher vollkommen unbekannt gewesen war: Er war beliebt. Was zählten schon seine Vergangenheit und die finsteren Verbrechen, die er in einem fernen Land im Norden begangen hatte? Er hatte Marikani gerettet, er hatte sie alle gerettet. Sein Name war in aller Munde - genau wie der Harrakins. Frauen lächelten ihm zu, Adlige aus Familien, von denen er noch nie gehört hatte, klopften ihm auf die Schulter, um ihn zu beglückwünschen, junge Mädchen erröteten und stießen einander an, wenn er vorüberkam. Plötzlich wurden Gespräche nicht mehr unterbrochen, wenn er sich näherte: im Gegenteil, man bat ihn hinzuzustoßen und von seinen Taten zu erzählen. Banh gratulierte ihm persönlich und ernannte ihn dann in einer kleinen Zeremonie, die vor der Tempelruine abgehalten wurde, zum Ehren- Mereni der Armee, was ihn - wenn man seinen Platz im Rat hinzurechnete - zu einem der wichtigsten Amtsträger am Hof machte.
Und Harrakin, der einige Tage später ruhmbekränzt heimkehrte, schien sich daran noch nicht einmal zu stören. Er beglückwünschte Arekh aufrichtig und nutzte die Bewunderung, die ihm seine Schlacht eingetragen hatte, um vor einem schon überzeugten Publikum ebenso fröhlich wie theatralisch die Details seiner Strategie auszubreiten.
Auch ein anderes »Detail« hatte sich geklärt, oder zumindest fast: der Prozess. Da der Hauptankläger tot und
des Verrats überführt war, brach das ganze Lügengebäude in sich zusammen. Man sprach nun nur noch von der Prüfung. Trotz der Schäden am Arrethas-Tempel schien Marikani ungeduldig darauf zu warten, endlich offiziell den Thron besteigen zu können.
Die Vorbereitungen begannen.
Während dieser hektischen Tage hatte Arekh kaum Zeit, Marikani zu sehen. Die junge Frau versank dank der Nachwehen des Krieges in Arbeit, obwohl die Bezeichnung »Krieg« vielleicht etwas übertrieben für einen Konflikt war, der nur einen Abend lang gedauert hatte. Gesandte gaben sich im Herbstschreibzimmer ein Stelldichein, während Boten unaufhörlich zwischen Harabec, dem Emirat, Reynes und den Freien Städten hin und her pendelten.
Aber Arekh war nicht enttäuscht. Er wusste es . Er hatte es in Marikanis Blick gelesen, als die Kuppel eingestürzt war, er las es jedes Mal aufs Neue, wenn sie sich auf einem Korridor inmitten einer Horde von Höflingen begegnete.
Bald , sagten das Lächeln und die Augen der jungen Frau, die selbst im umgebenden Chaos noch heiter und leuchtend blieben.
Bald .
Und Arekh spürte, wie er von der gleichen heiteren Ruhe erfüllt wurde.
Schließlich kam der Tag der Prüfung. Das erste Ritual, das vom
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