Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
gerne würde ich das vergessen!
Hoch über Enris und ihm wandte sich der gewaltige Geisterwolf einem unsichtbaren Gegner zu.
Melar gibt das Zeichen zum Angriff. Mit einem Schrei, der bis in die hinterste der schier endlosen Reihen seiner Krieger hallt, springt der niemals besiegte Herr der Ordnung voran, um den Schutzwall in dem Augenblick zu überwinden, als der Wächter der Erde bezwungen ist. Doch bevor es ihm möglich ist, anzuhalten oder auszuweichen, nimmt die magische Barriere wieder Gestalt an. Melar fühlt sich von der unbändigen Gewalt, die von dem Wächter Runlands ausgeht, gepackt. Ihm ist, als würde ihm seine Stärke mit zwei ungeheuren Pranken aus dem Leib gepresst. Die wütende, verzweifelte Lebenskraft einer ganzen Welt, vereint in dieser Kreatur, die ihn ergriffen hat, stemmt sich gegen ihn. Das wolfartige Wesen ist der Schutzwall, Runlands Herz, und mit jedem seiner heißen Schläge nimmt es an Kraft zu.
Zu der Zeit seines Kampfes mit Carnaron hätte sich Melar mit Leichtigkeit aus dieser Umklammerung lösen können, doch seit dem großen Krieg zwischen Chaos und Ordnung sind Äonen über Äonen vergangen. Auf zu viele Welten haben die Herren der Ordnung ihre Magie ausgedehnt. Der Schutzwall beraubt Melar all seiner Macht, nährt sich von ihr und stärkt sich damit selbst für die Erwiderung auf den Angriff des Jägers. Mit voller Wucht fühlt sich der Herr der Ordnung zurückgeschleudert. Der Schlag, den er erhalten hat, ist so fürchterlich, dass ein Ruck durch das Heer der Maugrim unter seiner Herrschaft geht, als würde ein Windstoß durch ein Kornfeld fahren.
Melar liegt geschlagen zu den Füßen seiner verwirrten Gefolgschaft. Er weiß, dass er den Kampf verloren hat. Er besitzt keine Stärke mehr für einen zweiten Schlag. Bitterer Hass lodert im Angesicht seiner Niederlage in ihm auf. Und zum ersten Mal, seitdem er sich erinnern kann, entschließt er sich zu einem Rückzug. Er verlässt sein Heer, das ohne das Rückgrat seines Willens führungslos in Reih und Glied verharrt, und flüchtet an den geheimen Wohnort seiner Brüder und Schwestern. Es wird lange, sehr lange dauern, bis er seine Kräfte erneuert hat, um wieder Gestalt anzunehmen und in der Vielzahl der Welten den Willen der Herren der Ordnung durchzusetzen. Weder die Welt der Serephin noch die Welt der Temari wird so bald wieder etwas von ihm hören.
Die Wölfin hebt ihren Kopf und stößt ein langgezogenes Heulen aus. Es gleicht einem Ruf, der sagen will: Hier bin ich! Dies ist mein Jagdgebiet. Gebt gut acht und wahrt seine Grenzen, denn ich bin wachsam, und ich beschütze meine Welt.
Alle Wesen in Runland, wo auch immer sie sich gerade aufhalten, hören dieses Heulen, und tief in ihrem Inneren ahnen sie, was es sagen will – dass mit der mächtigen Stimme des Wächters die fürchterliche Wolfzeit geendet hat.
Die Voron, die sich auf die Hochebene vor den Klippen geflüchtet haben, werfen ebenfalls ihre Köpfe in die Nacken und rufen ihre begeisterte Antwort in den Winterhimmel. Ihr Wald wird weiter bestehen bleiben. Talháras hat sie beschützt.
In den Steppen von Ceranth tritt der Yasgürai vor sein Callab und blickt in die Nacht hinaus. Er weiß nicht, warum er auf einmal das sichere Gefühl hat, dass die grausame Kälte wieder zurückgehen wird, aber er zweifelt nicht an dieser Gewissheit. Sein Stamm wird überleben. Er legt sich wieder zu Ricónda und Eigin, und er schläft so friedlich bis zum nächsten Morgen wie schon lange nicht mehr.
In Sol schreckt Bendíras, das Oberhaupt des T’lar-Ordens, aus seinem Schlaf hoch. Noch letzte Nacht ging er mit der nagenden Sorge ins Bett, dass die Unruhen wegen der andauernden Kälte und der Nahrungsmittelknappheit Sol bald völlig in Brand setzen würden. Aber irgendetwas ist anders. Irgendetwas Gutes ist inzwischen geschehen, das den Lauf der Dinge ändern wird. Ächzend geht er vor seinem Bett auf die Knie und sendet ein Dankesgebet an den Sommerkönig.
Irgendwo an der verschneiten Küste des Nordens hat in diesem Moment ein Boot das sichere Land erreicht. Suvare und Teras haben sich während ihrer langen Fahrt zurück nach Hause kaum in die Augen geblickt. Ein zu tiefer Graben war zwischen ihnen entstanden, seitdem sich der alte Bootsmann gegen sie gestellt hatte. Nun aber sehen sie sich einander an, als sähen sie sich zum ersten Mal.
»Sie hat es geschafft«, stößt Teras hervor. »Bei Maths kaltem Hintern, sie hat uns alle gerettet!«
Suvare kann ihm nicht
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