Runlandsaga - Wolfzeit
der Backbordreling der Suvare und ließ seinen Blick über das Hafenbecken und die dahinter liegende Stadt schweifen, während er ein Stück seines unvermeidlichen Kautabaks im Mund herumrollte und in hohem Bogen ins Wasser spuckte. Es platschte so laut, als hätte der Bootsmann einen Stein in die Tiefe geworfen.
Der junge Mann zuckte die Achseln, ohne zu antworten. Eigentlich war es ihm egal. Seine Heimatstadt galt als das Juwel unter den Handelsstädten Runlands. Andostaan, sein kurzzeitiges neues Zuhause, war eigentlich nicht mehr als eine bessere Siedlung gewesen, wenn auch die meisten ihrer Bewohner bestimmt etwas anderes darüber zu sagen gehabt hätten. Menelon lag in etwa dazwischen. Der Ort ließ sich natürlich nicht mit Tyrzar vergleichen, aber man konnte ihm anmerken, dass er danach strebte, sich zu vergrößern. Die Hafenanlage war eine einzige Baustelle. Jenseits der Piere war eine Gruppe von Arbeitern gerade damit beschäftigt, die Seitenwand eines Lagerhauses aufzustellen, während ein zweites Gebäude dicht daneben noch auf seine Dachschindeln wartete.
Teras´ Frage wurde plötzlich durch ein verächtliches Grunzen beantwortet. Torbin war neben sie getreten.
»Keine der Städte des Nordens kann es mit Tasath aufnehmen, und wenn sie hier im Schutz von Königin Tarigh einen noch so großen Hafen bauen«, sagte er im Brustton der Überzeugung.
Enris starrte ihn für einen Moment verwirrt an.
Tasath? Wenn er sich richtig an die Geschichten seines Vaters erinnerte, dann war sie von allen Handelsstädten in den Südprovinzen die Unbedeutendste, umgeben von Marschen, die in jedem Sommer regelrechte Heerscharen von Stechmücken ausbrüteten. Um diesen Ort zu mögen, musste man dort zur Welt gekommen sein.
Teras lachte auf. »Von einem Südländer hätte ich keine andere Antwort erwartet, noch dazu, wenn er aus Caar kommt. – Ich sag dir, die schönste Stadt an den Küsten von Runland ist Noor. In jedem Frühling hoffe ich darauf, dass es die Suvare in den Sund von Noor verschlägt.«
»Warum gerade dorthin?«, wollte Enris wissen.
»Na, das Wetter ist gut zu meinen alten Knochen, mild und nicht so regnerisch wie im Westen – und die Gegend ist friedlich. In Dirganth hat es seit Jahrzehnten keine Schlacht mehr gegeben. Wenn sie in einer Stadt kein Kriegsrecht verhängt haben und nicht in jeder Taverne bewaffnete Söldner neben mir stehen, dann schmeckt mir mein Bier gleich zweimal so gut.«
»Du hast den wichtigsten Grund vergessen«, mischte sich Calach ein, der bei den letzten Worten des Bootsmanns neben ihnen aufgetaucht war und einen Eimer mit Abfällen aus der Kombüse über die Reling ins Hafenbecken kippte.
»Und der wäre?« Teras´ Grinsen verriet Enris, dass der Alte genau wusste, worauf der Koch anspielte.
»Du stammst doch selbst aus Noor, oder etwa nicht?«
»Ay, das ist wahr«, bekräftigte Teras. »Wahrscheinlich würden wir von allen hier an Bord dieselbe Antwort bekommen. Die eigene Heimat liebt ein Seemann am meisten – vor allem, weil er da nicht sein ganzes Leben verbringen muss. Der Abstand macht sie schöner.«
Unwillkürlich wanderte Enris’ Blick zu Larcaan und Thurnas hinüber, die etwas abseits von ihnen am Heck der Tjalk standen und ebenfalls das geschäftige Treiben auf den Pieren beobachteten. Die Mienen der beiden Kaufleute waren düster und verschlossen. Seitdem die Suvare im Hafen eingelaufen war, hatten die beiden kein Wort gesprochen.
»Ist bestimmt schlimm für euch, was?«, vernahm er leise Teras, dem nicht entgangen war, wohin Enris sah. Der Bootsmann hörte sich ernst an, beinahe schuldbewusst. »Da reden wir hier über die Orte, von denen wir stammen – und es gibt sie alle noch. Aber eure Heimat ist zerstört. Wir hätten nicht davon anfangen sollen.«
»Schon gut.« Enris winkte ab. »Ich bin deswegen nicht verärgert. Mir tut es nicht so weh wie den anderen. Andostaan war nicht meine Heimat.«
Eher ein Gefängnis, was?, meldete sich eine Stimme in seinem Inneren. Wozu heuchelst du Mitgefühl? Bist du nicht sogar ein wenig erleichtert, dass endlich etwas passiert ist, das dich aus dieser Sackgasse in deinem Leben herausgeschleudert hat?
Es war ein hässlicher Gedanke. Er passte nicht zu dem Schwur, den er noch vor ein paar Tagen am Scheiterhaufen von Themets Eltern geleistet hatte – sich an jenen zu rächen, die sein neues Zuhause zerstört hatten.
Etwas betreten blickte er Teras an. »Eigentlich stamme ich aus Tyrzar. In Andostaan war ich erst
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