Runlandsaga - Wolfzeit
niedergedrückten Zustand abzulenken. Zu jenen Zeiten war er einsilbig, sogar regelrecht verschlossen. Sobald andere Ordensbrüder zu ihnen stießen, verhielt er sich wie ausgewechselt. Er setzte eine fröhliche Miene auf, machte Scherze und sorgte mit seinem Übermut für Begebenheiten, über die in T´lar noch lange hinter vorgehaltener Hand amüsiert getuschelt wurde. Aber Pándaros wusste, dass dieses Verhalten seines Freundes nur eine Maske war. Das wahre Gesicht seiner Schwermut offenbarte Ranár nur ihm, und auch dann nur in Andeutungen.
In den letzten Monaten vor seinem plötzlichen Verschwinden hatte sich Ranár fast völlig von seinem Ordensleben zurückgezogen. Er hatte Bendíras darum gebeten, sich für einige Zeit völlig seinen Studien widmen zu dürfen, und war kaum noch aus seiner Zelle herausgekommen. Selbst Pándaros hatte ihn immer weniger gesprochen. Mehrmals versuchte der Priester, mit ihm zu reden und herauszufinden, was ihn dazu veranlasste, sich immer stärker nach außen abzuschotten, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ranár bedeutete ihm ruhig, aber bestimmt, dass dies nicht seine Angelegenheit sei. Jene Zurückgezogenheit hätte nichts mit dem Verhalten seiner Familie zu ihm zu tun. Er widme sich einer wichtigen geschichtlichen Forschungsarbeit, die seine volle Aufmerksamkeit erfordere. Bald sei sie abgeschlossen, dann würde er wieder seine Ordenspflichten aufnehmen und hätte auch wieder mehr Zeit für seinen Freund.
Der gutmütige Pándaros, immer geneigt, auf das Beste zu hoffen, hatte ihm glauben wollen. Vielleicht, weil er die Wahrheit schon damals gesehen und nicht hatte ertragen können: Dass sich Ranár, obwohl er noch immer ein Angehöriger des Ordens war, mit jedem Tag mehr von ihm und von dem Leben in T´lar entfernte.
Dann war er auf einmal verschwunden.
Anfangs hatten alle geglaubt, dies wäre wieder einmal einer seiner verrückten Streiche. Doch als T´lar auch nach Tagen kein Lebenszeichen von ihm erreichte, wurde den Priestern allmählich klar, dass diesem Streich das überraschende Ende fehlte. Ranár war fort, und er blieb es auch.
Schließlich wurde seine Familie in Incrast benachrichtigt, doch der Orden erhielt nie eine Antwort. Inzwischen hatte sich in T´lar die Meinung durchgesetzt, dass der junge Mann diesmal mit seinen ausgefallenen Ideen den Bogen endgültig überspannt hatte. Er war wohl nicht für ein Leben nach strengen Regeln geschaffen. Vielleicht war er mit einer jungen Frau durchgebrannt, die er geschwängert hatte und nun unbedingt heiraten wollte. Vielleicht diente er einer reichen Familie als Hauslehrer und konnte dort in größerer Freiheit seine Forschungen betreiben, als er im Orden je dazu in der Lage gewesen wäre. Die unterschiedlichsten Geschichten über sein Schicksal machten die Runde, eine abenteuerlicher als die nächste. Ein junger Novize wollte sogar gesehen haben, wie Ranár ein Schiff bestiegen hatte, das auf die offene See hinausfuhr, um die sagenhaften Länder weit im Westen der Landmasse von Runland zu entdecken.
Pándaros hatte sich alles angehört, was man sich über seinen Freund erzählte. Ein Teil von ihm war geneigt zu glauben, dass es sich tatsächlich so verhielt. Doch etwas in ihm hatte immer wieder gegen diese Sicht der Dinge aufbegehrt. Es war zu einfach. Zu glatt. Er konnte keinen Finger darauf legen und genau aussprechen, was es war, aber irgendetwas passte nicht ins Bild. Ranár hatte sich immer an dem eingespielten Regelwerk des Ordens gerieben, aber genau diese Reibung hatte er auch gebraucht. Sie hatte ihn angetrieben, in allen Dingen sein Bestes zu geben. Er wäre nicht sang- und klanglos fortgelaufen. Schon gar nicht, wenn es nicht einmal einen offensichtlichen Grund dafür gab. Viel eher hätte er einen Abgang mit lautem Trommelwirb...
Ein stechender Schmerz fuhr durch den Nebel seiner Überlegungen.
Meine Hand!
Pándaros riss seinen rechten Arm von der Tischplatte hoch und hielt sich den Handrücken dicht vor seine Augen. In dessen Mitte prangte ein matt schimmernder Wachsklumpen. Noch immer floss ein Rinnsal aus Wachs an einer der Kerzen in ihrem Ständer hinab und spritzte auf die Tischplatte hinunter, wo sich eben noch sein Arm befunden hatte.
Verflucht, tat das weh! Mit den Fingernägeln kratzte er sich den heißen Klumpen vom Handrücken. Plötzlich hielt er mitten in seiner Bewegung inne. Der Schmerz war für den Moment vergessen.
Ich kann mich bewegen! Meine Arme sind nicht gelähmt!
Beide Hände
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