Runlandsaga - Wolfzeit
seit ein paar Monaten.« Er deutete mit dem Kopf zu Larcaan und Thurnas hinüber.
»Für sie ist es sicher furchtbar. Die Heimat ein Trümmerhaufen. Aller Besitz vernichtet. Und was noch dazu kommt: Ich hab gehört, dass die Kaufleute von Andostaan und Menelon seit jeher miteinander wetteiferten – oft mit harten Bandagen. Aber jetzt müssen sie ausgerechnet hier Zuflucht suchen.«
Calach grunzte verächtlich. »Wen kümmert´s, was diese Geldsäcke zwickt! Die hochwohlgeborenen Herren wollen ja nicht mal unter Deck in unserer Nähe schlafen. Haben wohl Angst, dass unsere Wanzen in ihre guten Kleider schlüpfen könnten!«
»Mir tut es um alle leid, die ihr Zuhause verloren haben«, murmelte Enris. »Andostaan hat ja schließlich nicht nur aus reichen Kaufleuten bestanden. Was ist mit Leuten wie Garal?«
»Was soll mit ihm sein?«, gab Calach gereizt zurück. »Er hat im Hafen gearbeitet, jetzt ist er seine Arbeit und sein Dach über dem Kopf los. Soll ich wegen jedem zu heulen anfangen, der Pech im Leben hat?« Er hielt dem jungen Mann seinen ausgeleerten Eimer entgegen. »Hier! Wein du ihn voll, wenn du soviel Zeit dafür hast! Aber ich muss mich um euer Essen kümmern.«
Enris schwieg. Calach schüttelte den Kopf, drehte sich um und verschwand nach achtern.
»Nimm´s ihm nicht übel«, sagte Teras. »Er ist und bleibt ein alter Griesgram.«
Wortlos wandte sich Enris von dem Alten ab. Er musste zugeben, dass Calach wenigstens ehrlich war. Aber wie stand es um ihn selbst? Kümmerte ihn wirklich der Verlust, den die Bewohner von Andostaan erlitten hatten? Oder beruhigte er mit seinem Mitgefühl nur sein schlechtes Gewissen?
Gib es ruhig zu! Wenn die Serephin nicht gekommen wären, dann würdest du heute noch in den Lagerhallen des Hafens versauern.
Nein. Das stimmte nicht. Er hatte Larians Haus den Rücken zugekehrt, noch vor dem Angriff auf die Stadt. Er wusste nicht, wie er sich durchgeschlagen hätte, aber er wäre bestimmt nicht mit eingezogenem Schwanz zum Freund seines Vaters zurückgekehrt. Niemals.
Torbins Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Da kommt Suvare.«
Enris blickte den Pier entlang, an dem die Tjalk während des Mittags angelegt hatte. Der rote Haarschopf der jungen Frau leuchtete weithin sichtbar über den steinernen Weg. Noch während die Segel eingeholt worden waren, hatte sie das Schiff verlassen, um dem Hafenmeister ihre Ankunft zu melden.
Die restlichen Flüchtlinge aus Andostaan drängten nach Backbord, allen voran Escar und seine Frau. Enris, der sich umsah, bemerkte, dass Neria die Einzige an Deck war, die sich nicht zu dem Pulk gesellte, sondern abseits blieb, dabei aber alle aufmerksam beobachtete. Für einen kurzen Moment kreuzten sich ihre Blicke.
Suvare war kaum an Deck gestiegen, als sie von fragenden Gesichtern umringt wurde.
»Konntet ihr etwas über unsere Leute in Erfahrung bringen?«, wollte Arene wissen.
»Haben es die anderen nach Menelon geschafft?«, fragte Tolvane.
Neben ihm drängte sich Mirka nach vorne. »Sind sie schon hier?«
Corrya legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu sich zurückzuziehen, aber der Junge ließ sich nicht aufhalten.
»Ich will jetzt endlich zu meiner Mutter!«
Suvare schüttelte den Kopf. »Im Hafen wussten sie bisher nichts von der Zerstörung eurer Stadt. Anscheinend ist noch niemand über den Landweg hier angekommen.«
Arenes Augen füllten sich mit Tränen.
»Heißt das, sie ...«, begann sie.
»Das muss nicht bedeuten, dass ihnen etwas geschehen ist«, fiel Escar ihr ins Wort. Er bemühte sich, ruhig zu sprechen, doch seine Stimme zitterte. »Wir sind seit einer Woche unterwegs. So lange braucht man ungefähr auch von Andostaan nach Menelon. Sie könnten jederzeit die Stadtgrenze erreichen.«
»Wir sollten so schnell wie möglich die Wache verständigen!«, rief Larcaan. »Sie könnten ihnen entgegenreiten. Vielleicht sind ihnen die Angreifer auf den Fersen!«
Mirka schnappte erschrocken nach Luft. Auch die anderen blickten bestürzt. Kaum einer hatte es bisher laut ausgesprochen, aber dass die Serephin vielleicht auf den Spuren der Flüchtenden weitergezogen waren, war durchaus möglich.
»Der Rat muss erfahren, was in Andostaan geschehen ist«, sagte Suvare entschlossen. »Die Leute sind hier noch völlig ahnungslos und bereiten sich auf das Vellardinfest heute Nacht vor.«
»Na, großartig!« Thurnas lachte bitter auf. »Alle springen noch einmal schnell miteinander in die Betten, bevor man sie
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