Runterschalten
die für die ausgelagerte Dienstleistung angesetzt ist, in kleine Stückchen zerhackt. Die dann noch übrig bleibende Zeit wirkt am Ende wie ein Pausenfüller zwischen zwei Terminen. Manchmal wird dieser leere Raum mit Fernsehen gefüllt, das dann durch Werbung weiteren Dienstleistungsbedarf weckt.
So weit, so bekannt. Was die Autorin Russel-Hochschild aber dann schildert, wird vielen von uns neu sein. Viele Familien in der von ihr untersuchten Firma kämpften gegen das Gefühl, die Zeit arbeite gegen sie, indem sie diese in „Quality Time“ und „Quantity Time“ einteilen. Quantity Time befasst sich mit Dingen, die, falls noch nicht ausgelagert, nötig sind, um den Familienbetrieb funktional am Laufen zu halten: Einkaufen, Putzen, Kochen usw. Quality Time dagegen wird behandelt wie ein Termin im Büro, sie dient der Beziehungspflege. Von 19.30 Uhr bis 20.30 Uhr ist Quality Time, das heißt, dann wird zusammen gespielt oder erzählt oder eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen.
Was geht da vor sich? Familienbindungen werden neu geeicht, um schneller eine höhere Produktivität für den Emotionstransfer zu erzielen. Um das zu verstehen, springen wir mal eben ins Jahr 1899. Damals machte ein Ingenieur namens Frederick W. Taylor in der Bethlehem Steel Company folgenschwere Beobachtungen: Er sah einem aus Holland stammenden Arbeiter namens Schmid dabei zu, wie er zwölfeinhalb Tonnen Roheisen schaufelte.
Am Ende seiner Analysen brachte er Schmid bei, in derselben Zeit, die er sonst für zwölfeinhalb Tonnen brauchte, 47 Tonnen zu schaufeln. Wir wissen nicht, wie lange Schmid das überlebt hat, aber das Prinzip kennen wir: Effizienz.
Die Taylorisierung hat uns das effektive Leben in Echtzeit gebracht. Doch nicht nur in den USA ist sie längst auch in den Privathaushalten angekommen. Im Idealfall leisten Eltern zusätzliche Arbeit, nämlich emotionale Arbeit, um den Schaden, den der Zeitdruck zuhause anrichtet, wieder gut zu machen. Nur hat das Ganze einen Haken: Wenn sich Mitarbeiter gegen die Beschleunigung ihrer Arbeitsvorgänge wehren, kann der Arbeitgeber ihnen möglicherweise kündigen. Bei Kindern geht das nicht. Sie quengeln und trödeln, das Effizienzprinzip hat sie noch nicht im Sack. Sie sind ja in jenem Lebensabschnitt, den wir Erwachsene uns gern als verlorenes Paradies denken – weil da die Zeit anders, nämlich langsamer vergeht.
Das Paradies zerbröckelt stückweise und Eltern tragen dazu bei. Russel-Hochschild nennt diesen Vorgang „emotionale Drecksarbeit“, denn er bedeutet, Kinder an ein taylorisiertes Zuhause anzupassen, sie zu zwingen und zu drängen. Eltern sprechen immer häufiger von der Zeit, als wäre sie eine bedrohte Form von persönlichem Kapital, das sie managen und investieren müssen, ein Kapital, dessen Wert aufgrund von Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen, zu steigen und zu fallen scheint. Aber, stellt die Autorin fest, es gibt auch eine alternative Sichtweise.
Demnach ist Zeit für Beziehungen eine Art Dach über dem Kopf für uns: kein Kapital, das man investieren muss, sondern ein Haus, in dem man lebt. Menschen sind nicht Zeitkapitalisten, sondern Zeitarchitekten, die ihre Zeit strukturieren, um ihre Beziehungen zu schützen. Wenn diese Sicht der Dinge in Ihnen eine Saite zum Klingen bringt – prima! Dann geben Sie sich auf der nach oben offenen Skala der Menschen mit Wunsch zum Runterschalten schon mal zehn Punkte. Und lesen Sie weiter, dann kann daraus mehr werden als nur ein Wunsch…
Freizeit ohne freie Zeit
„Wir sind unsere eigenen Zeitarchitekten“, klingt das nicht zu paradiesisch, um wahr zu sein? Denn um das Kapital Zeit aktiv und beziehungsunterstützend zu gestalten, muss der Echtzeitmensch mittlerweile eins haben: Kapital. Benjamin Franklins Satz „Zeit ist Geld“ ist auf erschreckende Weise wahr geworden. Selbst verwaltete Zeit ist gegenüber fremdverwalteter Arbeitszeit höchst kostbar geworden. Es kostet einen erheblichen Aufwand an Planung und finanziellen Mitteln, sie zu bekommen. Urlaube sind „Quality Time“, für die wir das Geld investieren, das wir in der fremdverwalteten Zeit verdienen. In dieser teuer erkauften Zeit erholen wir uns vom „Hamsterrad“, laden die „Batterien“ wieder auf, die dann im Alltag erwartungsgemäß wieder geleert werden. Wir haben uns in der Zeitfalle eingerichtet – die Bedingungen, die sie hervorrufen, können wir nicht mehr ändern, auch wenn das die Herren und Damen Zeitmanager gern behaupten. Die
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