Russen kommen
Begriff »Oligarch«, »Dolochow« entdecke ich beim Überfliegen nicht. Eintrag Nummer drei, gleich auf der ersten Seite ein großes Foto mit dem Text: »Boris Dolochow unterzeichnet einen Vorvertrag mit der Stahl- AG .« Ich sehe das Bild genau an und bin mir sicher: Er ist mein geflohener Russe.
»Sie werden so spät wohl nicht noch arbeiten?«, sagt eine Stimme hinter mir. Ich fahre erschrocken herum. Guggenbauer, der Hotelier. »Was wollen Sie von Dolochow?«
»Ich hab ihn gestern im ›Zirben‹ gesehen«, erzähle ich. »Das hat mich neugierig gemacht.«
Guggenbauer nickt und flüstert: »Er ist nur ganz kurz da, um inkognito Geschäfte zu machen.«
Der Hotelier wirkt, als hätte er schon etwas getrunken.
»Er hat das ›Zirben‹ sehr schnell verlassen, als der Bauunternehmer Sorger gekommen ist«, rede ich weiter.
»Na weil er eben nicht gesehen werden will«, flüstert Guggenbauer. »Und eine größere Klatschtante als den Sorger gibt es nicht.«
»Zwielichtige Geschäfte?«, frage ich.
»Überhaupt nicht, aber nicht für die Öffentlichkeit gedacht, noch nicht.« Er flüstert mir ins Ohr: »Kann sein, dass ich ihn morgen treffe.« Jetzt bin ich mir sicher, sein Atem riecht nach Alkohol.
»Will er ins Hotelgeschäft einsteigen?«
»Was weiß man schon bei den Russen«, meint er. »Kann gut sein. Vielleicht kauft er ein Hotel oder baut eines, vielleicht mehr als eines.«
»Ich dachte, hier gibt es einen Baustopp.«
»Wenn man so viel Geld hat …« Der Hotelier vom Arlberg sieht richtiggehend andächtig drein.
[ 2 ]
Z u dir oder zu mir?«, frage ich, als wir uns eineinhalb Tage später Wien nähern.
»Diese Woche bin ich dran«, erwidert Oskar.
»Wenn man den Arlberg einrechnet, dann ab morgen eigentlich ich«, widerspreche ich.
Wir haben einen besonderen Deal, um mit unserer Wohnsituation umzugehen: Nach vielen Versuchen haben wir beschlossen, abwechselnd eine Woche bei Oskar und eine Woche bei mir zu leben. Ich kann mich nicht dazu durchringen, meine Wohnung aufzugeben. Und dass Oskar auf seine großartige Dachterrassenwohnung verzichtet, würde ich nie verlangen. Es täte auch mir leid darum. Aber ganz klaglos funktioniert unser Modell eben doch nicht.
»Gismo ist bei mir«, führe ich ins Treffen. Oskar liebt meine Schildpattkatze mindestens so wie ich. Ich wäre einfach gerne zu Hause, würde meine Skisachen lieber bei mir waschen und gleich verstauen – wer weiß, wann ich sie je wieder brauche – und meinen Anrufbeantworter abhören.
»Ich muss morgen früh raus, in der Kanzlei hat sich einiges angesammelt. Ich hab keinen Anzug bei dir.«
»Kauf dir noch einen, dein Kleiderschrank bei mir ist halb leer.«
»Habe ich schon lange vor, aber das löst das Problem morgen auch nicht. Und: Meine Wohnung ist dran.«
Ich seufze. Er hat ja recht. Ich kann mein Zeug auch bei ihm waschen und seines gleich mit, selbst wenn er für Derartiges eine Haushälterin hat, die alle drei Tage kommt. »Okay.«
Oskar lächelt. »Gismo holen wir natürlich ab.«
Wenn ich nicht da bin, wird sie von den beiden Studentinnen betreut, die vor einiger Zeit in die Nebenwohnung eingezogen sind. Früher hat die alte Frau Müller auf Gismo aufgepasst. Sie liebt Katzen, wollte sich aber in der Angst, dass sie vor der Katze stirbt, keine eigene mehr nehmen. Und dass sie Gismo regelmäßig mit Keksen gefüttert hat, war für meine verfressene Katze ein Grund mehr, Frau Müller aus dem zweiten Stock anzubeten. Jetzt lebt Frau Müller in einem sogenannten Seniorenwohnheim, in dem keine Haustiere erlaubt sind. Ich sollte sie dringend wieder einmal besuchen.
Gismo führt das übliche Theater auf, nachdem ich sie einige Tage allein gelassen habe. Sie stürzt zur Eingangstür, maunzt, man könnte das Geräusch eigentlich schon Brüllen nennen, und während ich sie streichle, rennt sie davon, verzieht sich in ein Eck des Vorzimmers und starrt mich böse an. Was dann am besten hilft, sind einige schwarze Oliven, Oliven sind ihre Leidenschaft, aber leider haben wir heute keine Oliven mitgebracht. Auch alle Vorräte sind aufgebraucht, es hat in letzter Zeit zu viele Anlässe gegeben, meine Katze zu beschwichtigen.
»Bei mir gibt es Oliven«, gurrt Oskar auf sie ein und versucht sie aus dem Eck zu locken. Wenn Gismo nicht will, kann man sie sehr schwer fangen. Meine Altbauwohnung ist groß und hoch und voller Verstecke.
Ich halte den geöffneten Katzenkorb in ihre Richtung. »Bei Oskar gibt es Oliven«, flöte ich.
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