Russen kommen
sichtlich genossen, auch wenn er ohne mich sicher viel schneller unterwegs gewesen wäre. Vorbei. Überstanden. Wohlige Müdigkeit und Wärme in der kleinen Bernstein-Stube.
»Château Petrus!«, ruft der Mann am Nebentisch, die aparte junge Frau schreckt auf und sagt in gutem Deutsch: »Wir hätten gerne noch eine Flasche Pomerol, bitte.«
Der Hüttenwirt bringt den Wein rasch. Wahrscheinlich passiert es auch hier nicht so häufig, dass er gleich zwei Flaschen seines teuersten Weines verkauft. Er öffnet sie mit der Eleganz eines erfahrenen Oberkellners, dekantiert den Wein, schenkt einen Kostschluck ein. Ich würde zu gern wissen, wie so ein Pomerol Château Petrus schmeckt. Und ob er die tausendzweihundert Euro wert ist. Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Plötzlich Lärm von draußen. Mein für alpine Katastrophen anfälliges Hirn denkt im ersten Moment an eine Lawine, ich ziehe den Kopf ein.
»Ein Hubschrauber«, sagt Oskar, und durch die kleinen Fenster sehe ich ihn jetzt auch. Zwanzig Meter von der Hütte entfernt landet ein Helikopter. Nun weiß ich, warum der Parkplatz so groß ist. Vier Männer steigen aus, buntes Skigewand. Sie nehmen ihre Ski aus dem Fangsack. Auch die Russen vom Nebentisch beobachten die Neuankömmlinge durch das Fenster, plötzlich springt der Führungsrusse auf, einige eilige Sätze, man rafft das Übergewand zusammen, der Blonde packt die Karaffe mit dem Pomerol, die dunkelhaarige junge Frau stürzt zum Hüttenwirt, er deutet zur winzigen Küche, die vier rennen hinter die Theke, in die Küche, sind verschwunden. Ein Auto röhrt auf, gerade als die vier Heli-Skifahrer den Raum betreten. Alle Augenpaare wenden sich ihnen zu. Werden sie Maschinenpistolen zücken, auf Russisch fluchen, den Geflohenen – denn was sonst kann das gewesen sein als eine Flucht – hinterherhetzen?
Nichts davon. Der erste Typ strahlt, nimmt seine Skikappe ab und meint in lautem Wienerisch: »So ein Glück, dass ein Tisch frei ist!« Du liebe Güte, ich weiß, wer das ist. Eigentlich hätte ich ihn sofort an seinem orangefarbenen Skianzug erkennen sollen, auf dem rote Ziegel und der weiße Schriftzug »Sorger« ein seltsames Muster bilden, Franz Sorger, Besitzer einer großen Baufirma und Society-Löwe, keine Klatschspalte, kein Promi-Event ohne sein breites Kameralächeln. Die Männer ziehen ihre Jacken aus, setzen sich. Zwei von ihnen reden englisch, der Dritte englisch mit einem starken österreichischen Akzent, und was Sorger spricht, ist Wienerisch mit Brocken, die er für Englisch hält.
»Der Toni Berger«, flüstert mir Oskar zu.
»Das ist der Sorger. Sorger-Bau, du weißt schon.« Ich sehe, dass der Helikopter wieder abhebt.
Oskar schüttelt den Kopf. »Der andere, Toni Berger, der Skirennläufer, hat bei der WM vor acht Jahren Silber gemacht, Super-G, und Bronze in der Abfahrt, glaube ich.«
»Was hat der mit dem Sorger zu tun?«
Oskar grinst. »Das, womit hier alle zu tun haben: Skifahren.«
»Warum sind die Russen vor denen davongelaufen?« Ich kapiere es nicht.
Oskar nimmt noch einen Schluck. »Vielleicht war es eine Verwechslung? Oder sie fürchten sich grundsätzlich vor Helikoptern?«
Ich schüttle den Kopf.
Oskar sieht mich flehentlich an. »Bitte, Mira. Wir sind hier auf Urlaub.«
»Du hast eine geschäftliche Besprechung mit deiner Partnerkanzlei«, gebe ich zurück und starre weiter auf den Eingang zur Küche, durch den die Russen verschwunden sind. »Ich möchte zu gerne wissen …«
Oskar tätschelt meine Hand. »Eigentlich wäre es langsam Zeit fürs Abendessen. Wir sollten aufbrechen, Galadinner im ›Sonnenhof‹, wir sollten nicht zu spät kommen.« Er steht auf, mit seinen Ein-Meter-fünfundneunzig reicht er beinahe bis an die Decke.
Sorger kennt mich, ich war jahrelang Lifestyle-Reporterin beim »Magazin«. Aber er ist so eifrig bemüht, mit seinen Begleitern Englisch zu sprechen, dass er mich nicht wahrnimmt. Vielleicht vermutet er mich auch nicht in dieser Umgebung. Soll ich ihn fragen, welchen Grund die Russen hatten, seinetwegen abzuhauen? Unsinn, was könnte er mir sagen.
Ich stehe auch auf. »Muss nur noch schnell aufs Klo«, murmle ich. Die Toilette ist gleich neben der Miniküche, sie hat ein Fenster, das auf jenen Teil des Platzes geht, wo die Autos stehen.
Ich starre nach draußen. Inzwischen ist es Nacht geworden, nicht einmal Spuren im festgepressten Schnee. Toilette wie in einem Nobelrestaurant, kleine gefaltete Handtücher aus Leinen,
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