Russen kommen
angerufen, nachdem Zuckerbrots Beamte Welser und Flemming vom Flughafen abgeholt haben. Ich habe mich bei Dolochow bedankt. Ich habe ihn gar nicht um ein Interview gebeten. Er hat mich daran erinnert, dass ich eines gewollt hatte. Und jetzt hat er mir eines gegeben. Es war ein sehr kontrolliertes Gespräch. Um ehrlich zu sein: Er hat das Gespräch kontrolliert. Er hat gesagt, ›wie sehr er um seinen Bruder trauere, er bleibe sein Bruder, auch wenn er sich auf Abwege begeben habe‹. Er werde alles, was ihm möglich sei, dazu beitragen, dass Sachow und Popp und das Geld gefunden werden. Seine Kontakte zu Banken seien im Allgemeinen recht gut, hat er gescherzt. Spätestens wenn die beiden Geld abheben wollten, würden sie wohl geschnappt. Ist bloß zu hoffen, dass sie das Geld in der Zwischenzeit nicht irgendwo vergraben haben! Und Dolochows Beziehungen zu Österreich, die seien unbeeinflussbar gut. Er freue sich mitteilen zu können, dass der Zusammenschluss mit der Stahl- AG seit letzter Woche unter Dach und Fach sei. Natürlich seien noch weitere Investitionen in unserem Land vorstellbar – in Übereinstimmung mit seiner Strategie, Synergien zu nützen und über Nationalitätsgrenzen hinweg friedliche Geschäfte zu betreiben. Ist im Prospekt nicht etwas Ähnliches gestanden? Ich habe ihn nicht danach gefragt.
Jetzt erzähle ich in der Pressekonferenz, was geschehen ist und wie man versucht hat, Zuckerbrot zu verleumden. Ich war schlau genug, Dolochow um eine offizielle Grußbotschaft zu bitten. Er hat sie mir heute früh via E-Mail geschickt. Zuckerbrot ist es, der sie verliest:
Ich danke dem interimistischen Leiter der Wiener Polizei Dr. Zuckerbrot und seiner Truppe sowie dem »Magazin« und Mira Valensky dafür, dass der Mord an meinem Zwillingsbruder aufgeklärt werden konnte. Ich habe viel Geld verdient. Aber wer sich von Gier und Neid leiten lässt, verliert nicht nur den Sinn für Moral und Menschlichkeit, sondern auch den Sinn für das Reale. Ich schätze Österreich und Deutschland sehr. Meine grenzüberschreitenden Geschäfte sollen auch weiter der Stabilität Europas und einer fruchtbaren Verbindung zwischen unseren Ländern dienen.
Zuckerbrots Suspendierung wurde noch gestern aufgehoben. Und er kann auch schon einen Erfolg vermelden: Seine Beamten haben den Anwalt Gustav Kronberger gefunden. Er hatte sich in das Haus eines Freundes in der Dominikanischen Republik zurückgezogen. Ein Auslieferungsbegehren läuft. Gut möglich, dass er noch einige Details über die Geldflüsse beisteuern kann. Ein kleiner Teil der Investitionen dürfte nach wie vor auf der Ost-West-Kreditbank liegen. Die Privatbank wird sich wohl einigen Fragen vonseiten unserer Bankenaufsicht zu stellen haben. Und den Fragen der Wirtschaftspolizei. Ob das ganze Geld von ›Direktinvest‹ wieder auftauchen wird? Dolochow hat mir gegenüber zuversichtlich geklungen. Ich habe ihn gestern noch etwas gefragt: Wie hat er Sonja so schnell gefunden? Und warum hat er mit seinen Beziehungen nicht schon vor Wochen dafür gesorgt, dass alles ans Licht kommt? »Ich bin Geschäftsmann, kein Milizionär«, hat er darauf eher ungehalten erwidert. Kann es sein, dass alles Teil seiner »Strategie« war? Dass es ihm gereicht hat, als es schien, der Russen-Mord würde in Vergessenheit geraten? Dass er mir nur geholfen hat, weil ihm klar war, dass ich doch nicht locker lassen würde? Dass es in diesem Fall besser wäre, an der Aufklärung beteiligt zu sein? Als guter Onkel aus Russland?
Welser redet seit heute früh. Zuckerbrot hat mir nicht alles erzählt, nur so viel, dass es wohl Sachows Leute waren, die mir den Stich verpasst haben. Der zweite Mann an jenem Tag im Innenhof war Sachow selbst. Welser will weder bemerkt haben, dass ich ihn verfolgt habe, noch dass man mich angegriffen hat. Und mit der Brandbombe, so schwört er, habe er auch nichts zu tun gehabt. Sachow sei es gewesen, der versucht habe, alle einzuschüchtern.
Die Pressekonferenz dauert über eine Stunde. Es gibt nichts, was nicht eingehend erklärt und besprochen würde. Vom »Blatt« hat sich die ganze Zeit über kein einziger Redakteur zu Wort gemeldet. Auch wenn ich gleich zwei Mitarbeiter des Sudelblattes gesehen habe. Ihre Ausgabe wird beinahe zeitgleich mit unserer erscheinen. Auch Fernsehen und Radio werden rasch berichten. Aber das macht nichts. Es ist klar, dass wir die bessere Geschichte haben. Ich kann hautnah schildern, was passiert ist. Fast etwas zu hautnah, denke ich
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