Russen kommen
kann, erzähle ich ihr von den fliehenden Russen. Hanni Guggenbauer schüttelt den Kopf. Da hätten wir wohl etwas falsch interpretiert, meint sie. »In den Zeitungen steht viel Blödsinn, unsere Russen sind sehr friedlich. Sie wollen ihre Ferien genießen, sonst gar nichts. Und wenn sie ab und zu ein wenig Gas geben – welche größere Gruppe tut das nicht?« Sie runzelt die Stirn. Die acht Holländer lachen laut, drücken der Serviererin zwei leere Flaschen in die Hand und ordern offensichtlich weitere Flaschen Wein. »Wahrscheinlich hatten die Russen nur einen dringenden Termin«, fährt die Hotelchefin fort.
Das hat der Hüttenwirt auch schon vermutet, aber wer hetzt zu einem dringenden Termin durch die Küche, die Karaffe mit Château Petrus in der Hand? Jedenfalls eine nette Facette für meine geplante Russen-Story. Ich beschreibe Hanni Guggenbauer die vier Russen, sie kennt sie nicht. Vielleicht habe ich morgen mehr Glück. Am Vormittag trifft sich Oskar mit seinem Geschäftspartner, Und da mir nicht nach allein Ski fahren ist, werde ich für meine Russen-Reportage recherchieren. Mit dem Eigentümer des größten Skimodengeschäfts und dem Chef des angeblich besten Restaurants habe ich schon einen Termin vereinbart. Ich hätte die Russen fotografieren sollen. Andererseits: Wer weiß, was dann passiert wäre.
Oskar bestellt noch echten Vorarlberger Obstler. Schade, dass Vesna noch nicht da ist. Sie hätte die Flucht der Russen mit Sicherheit genauso interessiert wie mich. Mehr noch, sie wäre ihnen wohl nachgeeilt. Aber Vesna, meine langjährige Putzfrau und gute Freundin, inzwischen Inhaberin eines Reinigungsunternehmens, das so ganz nebenbei auch andere Aufträge übernimmt – was kann sie dafür, dass die Privatdetektivordnung derartig restriktiv ist –, ist noch in Wien. Wenn alles gut geht, kommt sie morgen Abend. Vielleicht finden wir gemeinsam mehr heraus. Irgendeinen Aufhänger braucht jede Reportage. »Russenmafia in den Bergen«, das klingt gut, egal was die Hoteliersfrau über ihre lieben Russen erzählt. Vesna ist im Jugoslawienkrieg aus Bosnien geflohen, Jugoslawien war kommunistisch, vielleicht hat sie in der Schule Russisch gelernt?
Die weißen Laken duften nach Sauberkeit, hier werden alle Versprechen der Waschmittelwerbung wahr, ich drücke meinen Kopf in das Polster, strecke wohlig meine Beine, selbst das leichte Ziehen in den Oberschenkeln bereitet mir Vergnügen, Grüße vom Skifahren. Sport in der frischen Luft, vielleicht kann ich mich doch daran gewöhnen. Noch bevor Oskar aus dem Bad kommt, bin ich eingeschlafen.
Strahlender Sonnenschein, als ich aufwache. Oskar ist schon angezogen, in einer Stunde hat er seinen Geschäftstermin, ich brauche im Badezimmer nicht lange, freue mich über mein leicht gebräuntes Gesicht und auf das Frühstück. Ich sollte Oskar vorschlagen, dass wir länger bleiben. Andererseits: Das hieße auch noch einige Tage Ski fahren. Und wer weiß, ob ich immer so großes Glück habe wie gestern.
Um elf stehe ich vor dem Sportmodengeschäft. Schicke Skianzüge, die meisten aber doch jenseits meiner finanziellen Schmerzgrenze. Die schwarze Daunenjacke würde mir gefallen, Schwarz macht zudem schlank, aber sechshundertachtzig Euro … Für viele mehr als ein halbes Monatsgehalt. Ich sollte ohnehin nicht ans Einkaufen denken, sondern daran, was ich den Besitzer des Geschäfts über russische Kunden fragen möchte.
Zehn Minuten später sitze ich ihm in einem winzigen, vollgestopften Büro gegenüber. Großzügig Platz gibt es nur für die Menschen im Geschäftsbereich, in dieses Kämmerchen hier passen nur einige Regale, ein kleiner Schreibtisch samt Computer, ein Schreibtischsessel und ein roter Stuhl, der schon bessere Tage gesehen hat.
Wir trinken Tee, und der Sportmodenhändler meint: »Großzügig sind sie, die Russen. Da gibt es welche, die kommen an, dann kommen sie sofort zu uns und kaufen gleich für tausend Euro oder mehr ein. Pro Person. In Russland bekommst du aber auch sicher nicht so schöne Sachen.«
Keine Ahnung, ich war noch nie dort. Mein Aufnahmegerät steht auf dem Tisch, es erspart mir das Mitschreiben. »Wenn die Russen so nett und so großzügig sind: Warum hat Kitzbühel überlegt, eine Russenquote einzuführen?«, frage ich.
»Na ja, wenn du überschwemmt wirst …«, beginnt der Händler und deutet dann auf das Gerät. »Das machen Sie jetzt aber bitte aus.«
Ich drücke auf die Pausetaste, was soll’s. Anders erfahre ich nie, was
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