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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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an einem hinter mir parkierten Auto vorbeizukommen, über die Wiese fahren, was mir einen missbilligenden Blick aus einem der Bauerngärten eintrug. Es war nicht meine Schuld, der weisse Renault hatte mich eingeklemmt. Zur Abwechslung fuhr ich durch das Stockental zurück, eine unverbaute, ländliche Gegend mit saftgrünen Wiesen, Bauernhäusern und viel Wald. Aber jetzt im Spätherbst machte sich hier die Sonne rar. Die hohen Berge warfen lange Schatten, und an einigen Stellen war deshalb die Eisschicht, die sich über Nacht gebildet hatte, immer noch nicht aufgetaut. Am Radio unterhielten sich zwei Experten über Jugendgewalt. Der Moderator hörte seinen Gästen schlecht zu und nervte mit dummen Fragen. Mir fielen ein paar sarkastische Bemerkungen ein, die ich, wenn ich in der Sendung gewesen wäre, gemacht hätte. Aber natürlich habe ich noch nie in eine Sendung angerufen. Ich fuhr langsam, schon allein deshalb, weil mich alle paar Kilometer ein Dorf dazu zwang, in einen tieferen Gang zu schalten. Manchmal vergass ich, ausserorts wieder zu beschleunigen. Deshalb fiel mir das weisse Auto, das sich in einem regelmässigen Abstand hinter mir hielt, auf. Andere Wagen, vermutlich einheimische, hatten mich längst überholt, das kleine weisse Auto blieb.
    Ich wollte es loswerden. Auch wenn der Fahrer einen gewissen Abstand wahrte, war mir das Automobil im Nacken unangenehm. In der nächsten Ortschaft fuhr ich bei einer Bushaltestelle rechts an den Rand. Statt mich zu überholen, blinkte der Fahrer ebenfalls, bog ab und verschwand in einem Seitensträsschen. Auch gut. Als ich allerdings weiterfuhr, tauchte nach ein paar Kilometern wieder ein weisses Auto hinter mir auf. Ob es das Auto von vorhin war, konnte ich nicht sagen, aber es nervte. Was vielleicht daran lag, dass ich Hunger hatte. Nichts sprach dagegen, eine Pause einzulegen.
    Bei einem alleinstehenden Gasthaus mit einem grossen Parkplatz hielt ich an. Diesmal fuhr das Auto an mir vorbei, ich konnte erkennen, dass eine Frau am Steuer sass, die mich, wie auch der Mann neben ihr, keines Blickes würdigte. Das Auto verschwand. Es gab also noch andere, die nicht darauf bestanden, mit der Maximalgeschwindigkeit unterwegs zu sein.
    Das Restaurant, ein hölzerner Neubau im Chaletstil, warb mit Pferdesteak, was ich nicht mag. Ich betrat es trotzdem. Obschon die Mittagszeit längst vorbei war, schlug mir im Gang eine Welle von Pommes-frites-Geruch entgegen. Die Gaststube war mässig besetzt, Bauern und Handwerker richteten sich bei Bier und Kaffee Fertig auf das Wochenende ein. Eine hochbetagte Dame wurde von ihrer Familie ausgeführt. Sie waren beim Dessert angelangt, Erdbeerschale mit viel Schlagrahm. Ich ging durch den Raum zu den Tischen an den Fenstern, obschon dort eine Gruppe angeheiterter Wanderer im Rentenalter zwei Tische belegte. In aufgekratzter Stimmung bereiteten sie ihren Aufbruch vor. Ich musste über Wanderstöcke klettern und mir blöde Bemerkungen anhören, um einen Fensterplatz zu ergattern. Das Gasthaus lag im Schatten der Stockhornkette, mein Blick war auf die Strasse, den Parkplatz und graue Felsen gerichtet, eine trübe Umgebung. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei. Ich merkte, dass ich wieder einmal nach Verfolgern Ausschau hielt. Das weisse Auto war schuld.
    Nach einem Blick auf die Speisekarte entschied ich mich für einen Kaffee. Und ein Glas Wasser. Fast gleichzeitig mit den Wanderern verliess auch die Familie die Gaststube, umständlich wurde die alte Dame in einem Rollstuhl hinausgeschoben und in ein Auto verfrachtet. Ich begann mich zu langweilen in der nun fast leeren Gaststube mit dem tristen Ausblick. Eine Zeitung war nicht aufzutreiben.
    Die Toiletten lagen im rückwärtigen Teil des Restaurants. Der Waschraum hatte milchige Scheiben, die aber im oberen Teil einen Blick nach aussen zuliessen. Während ich meine Hände wusch, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und sah, dass die Hügel weiter hinten noch in der späten Nachmittagssonne lagen. Ich hatte mit dem schattigen Gasthaus eine schlechte Wahl getroffen. Ein Mitarbeiter aus der Küche zog einen Müllcontainer über den Platz, mühselig musste er ihn zwischen den verschiedenen Autos hindurchzirkeln. An einem kleinen weissen Auto vorbei, die schienen heute allgegenwärtig zu sein. Im Gang versank ich in Betrachtungen über die lokalen Veranstaltungen, eine Diashow über eine Reise nach Kanada, ein Konzert der Trachtengruppe, ein Fest mit Tombola des Turnvereins. Deshalb dauerte es eine

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