Russische Orchidee
nächsten fünf Tagen würde er keine Bilder für die exklusive Skandalgeschichte über die heimliche Affäre der beliebten Fernsehmoderatorin schießen können.
Sanja Anissimow zog sich vor dem Spiegel in der Diele den Schal zurecht, glättete sein Haar, schaute, bevor er die Türöffnete, noch rasch ins halbdunkle Wohnzimmer und sagte so beiläufig wie möglich: »Natascha, ich geh jetzt!«
Die Antwort wartete er nicht ab – er hatte sich heute mit seiner Frau dreimal gestritten und nur zweimal versöhnt.
»Wo willst du hin?« Natascha tauchte wie ein Gespenst in der Tür zum Schlafzimmer auf, barfuß, im Morgenmantel. Wirre hellblonde Strähnen fielen ihr auf die Wangen, ihre entzündeten roten Augen blinzelten krampfhaft.
Sanja registrierte automatisch, daß seine Frau mit nicht getuschten Wimpern einem weißen Kaninchen glich. Früher war ihm ihr blasses, farbloses kleines Gesicht zart und rührend vorgekommen, jetzt aber brachte es ihn nur auf.
Natascha war in letzter Zeit matt und energielos, schlief im Stehen ein, gähnte mit vorgehaltener Hand, sogar dann, wenn sie sich mit Sanja zankte. Schlafen konnte sie nur tagsüber, stundenweise. Nachts schaukelte sie ewig das Kinderbettchen hin und her oder ging mit Dimytsch auf dem Arm im Zimmer auf und ab. Der Kleine war neun Monate alt. Er zahnte, hatte starke Schmerzen und hohes Fieber, nachts weinte er und schlief so gut wie gar nicht.
»Geschäfte«, knurrte Sanja, ohne seine Frau anzusehen. Er zupfte nochmals an seinem Schal und trat wie ein ungeduldiges Pferd auf der Stelle.
»Lüg nicht, Sanja, was sollen das für Geschäfte sein, Samstag abends um zehn?« Nataschas Stimme zitterte, ein hysterischer Unterton schwang darin mit.
»Hör auf. Du weißt sehr gut, ich habe im Moment sehr viel um die Ohren. Ich habe eine Verabredung mit jemandem, der mir sehr nützlich sein kann. Es wird spät werden.« Sanja bemühte sich, ruhig zu sprechen. »Und überhaupt, mir reicht’s. Ich habe deine hysterischen Anfälle satt.«
Natascha schluchzte auf. Ihr Gesicht schwoll sofort an und bedeckte sich mit roten Flecken.
»Ich sitze Tag für Tag zu Hause. Hof, Geschäft, Kinderarzt, sonst kriege ich nichts zu sehen. Ich werde noch verrückt, Sanja. Du kommst und gehst, wann es dir paßt, und ich hocke hier wie angebunden in meinen vier Wänden. Ich weiß, daß du eine andere hast. Aber ich kann mich nicht auf die gleiche Weise revanchieren. Ich kann nicht …«
»Was nervst du mich ewig mit der gleichen Leier? Ekelhaft ist das! Ich habe keine andere, kapier das doch endlich, du blöde Kuh!« schrie Sanja ihr, unerwartet für sich selbst, ins Gesicht. Speichel spritzte, und weil er sich in diesem Augenblick selber zuwider war, wurde er noch wütender. »Du bist mit dem Kind zu Hause. Ich ernähre die Familie. Alles läuft bei uns normal. Wir haben eine Wohnung, ein Auto, du hast zwei Pelzmäntel. Zum Geburtstag wolltest du Smaragdohrringe – ich habe sie dir gekauft. Du wolltest ein Kleid von Dior – ich habe es dir gekauft.«
»Aha, natürlich!« Natascha schniefte. »Und wo soll ich hingehen in diesem Kleid? In die Poliklinik? Auf den Markt? Du hattest mir einen Babysitter versprochen!«
»Jetzt hör mir mal zu, meine Liebe, hast du schon mitgekriegt, daß es in diesem Land eine Wirtschaftskrise gibt? Sieh dir wenigstens einmal statt deiner Seifenopern die Nachrichten an! Wo soll ich in dieser Zeit Geld für einen Babysitter hernehmen? Du kannst dankbar sein, daß es vorläufig noch für die Pampers reicht.«
»Du weißt sehr gut, daß ich keine Seifenopern gucke, die verursachen mir Brechreiz«, schluchzte Natascha, »verkauf mich also nicht für blöd. Sehr bequem, so ein Dummchen zu Hause zu haben. Da kann man sich schon mal einen Seitensprung erlauben.«
Aus dem Zimmer ertönte lautes Kinderweinen. Natascha winkte ab und sagte unerwartet ruhig mit hocherhobenem Kopf: »Na, dann hau doch von mir aus ab.« Sie drehte sichabrupt um, ging ins Zimmer, und einen Augenblick später hörte man von dort ihre Stimme, ganz anders, tief, weich und zärtlich: »Bist du aufgewacht, mein Herzchen, komm zu Mama auf den Arm, mein Kleiner, jetzt gibt’s was zu trinken …«
Das Weinen ging in freudiges Glucksen über. Sanja konnte es sich nicht verkneifen, schob die Tür einen Spalt weit auf und erblickte Natascha, die sich auf die Liege gesetzt hatte und dem Kind die Brust gab. Dimytsch schmatzte und schnaufte laut und gierig. Natascha betrachtete ihn lächelnd,
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