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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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dran. Es hält. Dann schlinge ich ein kurzes Stück Seil darum, binde das eine Ende um seine Knöchel und ziehe an dem anderen, bis sein Kopf zehn Zentimeter über dem Steinfußboden schwingt.
    Ich binde das Seil am Stahlrahmen fest und mache es mir bequem. Zünde mir eine Robusto an. Paffe genüsslich daran, während er nach und nach stöhnend zu sich kommt. Als er versucht, durch das Blut in seinem Mund zu sprechen, lege ich die Zigarre auf den Bettrand und hocke mich neben seinen Kopf, nur um sicher zu gehen, dass er mich erkennt, sollte der Schlag sein Hirn aufgeweicht haben. Als ihm ein Licht aufzugehen scheint, hole ich mein Messer raus und halte es ihm unter die Nase. Nacktes Entsetzen tritt in seine Augen.
    »Warum hast du die Bilder in St. Petersburg Leutnant Passki gegeben?«
    »Was?«
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Warum hast du sie nicht behalten oder sie Maxim gegeben?«
    »Ich habe für zwei Politiker gearbeitet. Jakowenko und Dudajew. Sie haben gesagt, ich solle sie Passki geben.« Lipman schwingt noch immer mit dem Kopf nach unten, aber er ist wieder einigermaßen bei Bewusstsein und offenbar froh, am Leben zu sein und sprechen zu können.
    »Das weiß ich. Ich weiß nur nicht, warum du ihnen gegenüber loyal geblieben bist, wo Maxim doch viel gefährlicher ist.«
    »Mein Bruder«, sagt er. »Mein Bruder sitzt in Sibirien im Gefängnis, lebenslänglich. Er hat mit Heroin gedealt. Ich sollte die Bilder eintauschen, gegen seine Begnadigung und einen Anteil am Gewinn.«
    Jetzt wo ich die Antwort kenne, hebe ich langsam die Klinge. Er zappelt mit Händen und Füßen, versucht sie abzuwehren und gurgelt ein »Nein! Nein, warte!«, während ich ihm in aller Ruhe die Gurgel durchschneide.
    Ich wische das Messer an seiner Gefängnishose ab, setze mich mit meiner Robusto zurück aufs Bett und sehe zu, wie er stirbt.

55
    Ich halte Valja fest umschlungen, auf dass unsere Körper miteinander verschmelzen, aber der Wille allein reicht nicht aus. Ein Monat ist vergangen seit meinem Treffen mit Dubinin im Alexandergarten. Über ihre Schulter kann ich durch eine Glasscheibe sehen, wie sich die Birken um den Scheremetjewo-2 Terminal im Wind biegen.
    »Ich liebe dich«, sage ich.
    »Ich liebe dich auch, Alexei.«
    Bevor die Tschetschenen mir den Fuß amputierten, zertrümmerten sie ihn in einem Schraubstock, den sie aus dem Zahnradgetriebe einer 155 Millimeter Haubitze zusammengebaut hatten. Das war der Beginn einer sechsmonatigen Folter, nachdem ich mich in den Wäldern von Inguschetien ergeben hatte. Ich betete darum, sterben zu dürfen. Ich tat Dinge, die heute noch in mir rumoren, die meinen Stolz zerrinnen und mich wünschen lassen, ein Hohlspitzgeschoss würde in meinem Schädel explodieren und mich von all dem erlösen. Dieselben Höllenqualen erleide ich in diesem Moment - dem letzten mit der Liebe meines Lebens. Ich gäbe meine sämtlichen drei Gliedmaßen, damit sie bleibt. Aber weder dieser Ort noch ich verdienen es.
    Sie hat noch eine Stunde, bevor ihr Flug geht. Die erste Etappe ihrer Reise führt sie nach Rom. Sie hat mir gesagt, das sei nur ein erster Ausgangspunkt, aber nicht, wohin sie von dort aus will. Als sie auf dem Weg zum Flughafen ihre Handtasche geöffnet hat, habe ich ein Zugticket gesehen, Rom-Florenz-Mailand, wo Das Abendmahl die Wand des Refektoriums schmückt. Ich versuche, keine voreiligen Schlüsse daraus zu ziehen, und beschließe, all die rätselhaften Verbindungen in Maschas Welt der Zaubertränke und Hexereien zurückzulassen.
    Die Zeit rast, aber ich werde nicht die ganze Stunde lang bleiben und warten. Ich bin zu schwach. »Ich muss gehen.«
    »Ich weiß.«
    Und dann gehe ich - erst langsam, dann schneller, so schnell mein kaputtes Herz mich trägt.

56
    Die Fahrstühle in Maschas Haus funktionieren immer noch nicht. Wahrscheinlich werden sie es auch nie wieder. Ich laufe die knarrenden Treppen hoch, neun schleppende Stockwerke, und wünsche mir meinen Fuß zurück. Ich bin direkt vom Flughafen hierher gefahren. Valja ist jetzt wahrscheinlich in der Luft.
    Maschas Etage ist voller Polizei, einen Moment lang habe ich Angst, dass sie tot ist. Aber sie sind nicht wegen ihr hier. Sie haben eine runzlige alte Frau festgenommen, die mit ihrem grauen Star an mir vorbeigeführt wird, ohne mich zu sehen.
    Die Tür von Maschas Wohnung ist aufgebrochen. Sie winkt mich herein. Der Fernseher ist aus. Ich setze mich in den zu kleinen Korbstuhl. Sie beugt sich über die Spüle in der

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