Russisches Abendmahl
paar Tage später mit mir zu treffen. Von seinem Zimmer im Metropol-Hotel hat man einen Blick auf das Bolschoi-Theater und den Karl-Marx-Platz. Das Bild vom Neokapitalisten Maxim Abdullajew, der Tee trinkt, während er vom Blick auf die Steinbüste des großen Kommunisten Marx schwärmt, wirkt ironisch auf mich, wenn man von den Umständen unseres Treffens absieht.
Ich stehe schräg hinter ihm. Wir sind allein. Seine übliche Flottille bewaffneter Bodyguards ist nirgends zu sehen.
»Ich hab dich beschatten lassen«, sagt er. »Du haust oft ab, meinten sie. Puff , weg bist du.«
»Ratten haben viele Löcher.«
Er bläst Luft zwischen seinen fleischigen Lippen hindurch wie ein Schlachtross. »Manchmal verschwindest du in der Nähe des Kreml.«
»Mit Soldaten lässt sich gut Geschäfte machen.«
»Vielleicht.« Er stellt seine Teetasse auf die Fensterbank, verschränkt die schaufelgroßen Hände hinterm Rücken und sieht nach draußen - vielleicht aber auch auf mein Spiegelbild im Fenster. »Erzähl mir von dir und dem General.«
Ich passe genau auf, was ich sage, wie ein Bombenentschärfer, der eine Bombe entschärft. »Er war Kommandant meiner Division in Tschetschenien.«
Er wartet, ohne eine Regung, aber das ist alles, was ich dazu sage. Meine trockenen Lippen schreien nach Feuchtigkeit. Wenn ich mir jetzt darüber lecke, wäre das ein todsicherer Hinweis, dass Maxim auf der richtigen Fährte ist.
»Was will er von dir?«, fragt er schließlich.
Ich muss mir Mühe geben, die Frage zu beantworten, ohne etwas zu verraten, das er nicht schon weiß. »Er liebt seine Soldaten, so wie gute Eltern ihre Kinder lieben. Manchmal bittet er mich, ihnen zu helfen. Und manchmal bittet er mich, Dinge zu tun, die ein General nicht tun kann, jedenfalls nicht, wenn er politisch überleben will.«
Maxim nickt. Ich frage mich, was er meinen Worten entnommen hat. Ich hinke an seine Seite, um einen besseren Blick auf den Platz zu haben. Die Straßenverkäufer werden immer mehr. Touristen schwirren umher in leuchtendem Rot, Gelb und Blau. Alte Frauen bieten flehend mit gequältem Gesichtsausdruck selbstgemachten Schmuck und Leckerbissen an. Scharfsichtige Tauben tauchen nach Krumen und lassen weiße Fäkalienstreifen auf Karl Marx’ strenge Granitvisage fallen, der dazu verurteilt ist, in dieser kapitalistischen Verdammnis zu schmoren, bis der Zahn der Zeit ihn abgetragen hat - oder bis zur nächsten Revolution, je nachdem was zuerst eintritt. Maxim hält die Finger wie eine Pistole gespreizt und zeigt nach unten.
»Weißt du, was ich sehe, Volk?«
»Nein.«
»Eine Menge Möglichkeiten.« Er sieht mich nachdenklich an. »Ich frage mich, was du siehst.«
Ich blicke nach unten und denke nach. Ich schätze, die Wahrheit kann mir nicht weiter schaden. »Eine andere Art von Möglichkeiten.«
Er runzelt die Stirn, während er über meine Antwort nachdenkt. Er scheint zu einem Entschluss zu kommen. »Der General ist ein guter Mann. Sicherlich nicht immer klug. Aber …« Er zuckt mit den Schultern, dreht sich zu mir um und sieht mich lange an. »Du. Du bist ein gefährlicher Mann. Sentimental und seltsam, und genau deswegen noch furchterregender.«
Er starrt mich noch eine Weile an, schüttelt dann den Kopf, als wenn er sich nicht entscheiden kann.
»Ich habe zwei impressionistische Gemälde an der Hand. Pissarros.« So wie er den Namen ausspricht, klingt die erste Silbe wie ein langgezogenes, zischendes Piss . »Wie die in der Eremitage, nur nicht so bekannt. Vielleicht können wir zusammenarbeiten.«
Ich erinnere mich an die Unterhaltung zwischen Pappalardo und Posnowa in der New Yorker Galerie. »Das sind Fälschungen.«
Er rümpft die Nase und schnaubt über meine Naivität. »Ach ja? So wie alle Kunst. Künstler sind falsch, also ist das, was sie machen, auch falsch. Sie verschmieren Farbe. Zertrümmern Steine. Kritzeln wertlose Worte. Führen ein ärmliches Leben und sterben hungrig.«
Er verzieht das Gesicht, hält die fleischige Faust in Richtung der roten Mauern des Kreml drei Straßen weiter und streckt langsam den Zeigefinger aus. Der Finger zeigt auf den Roten Platz, wo Tausende von Hinrichtungen vor jubelndem Pulk vollzogen wurden. Dann auf den Konstantin-und-Helena-Turm, auch als Folterturm bekannt. Dann rüber zum Mariä-Verkündigungs-Turm, wo Iwan der Schreckliche zum Tode verurteilte politische Gefangene gefangen hielt. Schließlich senkt er sich auf die unterirdischen Katakomben, wo aus purem Sadismus
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