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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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brachte. Er war getroffen, ja, doch er stand noch und umklammerte die Walther mit beiden Händen. Schussbereit biss er auf die Zähne und hielt nach Gregorin Ausschau.
    Aber der Oberst war nur noch ein zusammengesunkener, regloser Haufen Kleider auf der Straße.
     

27
    Semjonow war in seinem Komsomol-Verein aufgebahrt worden. Sechs seiner jungen Genossen bildeten eine Ehrengarde um den offenen Sarg. Erst kurz vor der Ankunft hatte Koroljow begriffen, dass der Verein sein Zuhause in der Kirche hatte, in der Mary Smithsons Leiche entdeckt worden war. Noch erstaunlicher war allerdings, dass der Sarg genau auf dem Altar stand, auf dem die Nonne zu Tode gefoltert worden war. Trotz der vielen Kränze und Blumen waren die Flecken auf dem weißen Marmorboden nicht zu übersehen. Kurz streifte Koroljow der Gedanke, dass diese Symmetrie vielleicht kein Zufall war, doch dann schob er die Vorstellung beiseite. Nein, es handelte sich einfach um einen Fehler aufgrund mangelnder Absprache. Niemand hatte einen derart schwarzen Humor - nicht einmal die Tschekisten.
    Er war beim Eingang zur Sakristei stehen geblieben in dem Bewusstsein, dass sein Erscheinen Aufsehen erregte. Eigentlich überraschte ihn das nicht. Zwar hatte Schura die Blutflecken aus seinem Wintermantel gewaschen, und auch der Riss, den Gregorins Kugel verursacht hatte, war sorgfältig vernäht worden. Aber das Kleidungsstück war vorher schon verschlissen gewesen und wirkte jetzt noch schäbiger. In seiner Uniform hätte er sicher einen respektableren Eindruck gemacht, doch mit dem Kopfverband und dem Arm in der Schlinge hätte er wahrscheinlich trotzdem Blicke auf sich gezogen. Wenigstens von den Knien abwärts konnte er glänzen, da er ein prächtiges Paar Stiefel trug,
    wie er es nur selten gesehen hatte. Allerdings trugen diese Stiefel auf ihre Weise ganz besonders zu seinem Unbehagen bei.
    Der Grund waren nicht nur die Blasen an den Fersen, wenngleich es sich anfühlte, als hätte sich das neue Schuhwerk auf dem Weg zur Kirche bis zum Knochen durchgescheuert. Vielmehr war es auch die rätselhafte Art, wie sie zu ihm gelangt waren. Am Morgen hatte er die Wohnungstür geöffnet, und da standen sie, eingeschlagen in braunes Papier. Ein Zettel hing daran, auf dem nur sein Name stand, ohne weitere Erklärung, doch als er sie im frühen Sonnenlicht erblickte, das durch sein Zimmerfenster in den Korridor strömte, fiel ihm sofort ein Name ein: Kolja. Und so war er nicht nur erfreut, sondern auch ein wenig beschämt vom Ledergeruch in der Nase. Aber hätte er sie etwa verschenken sollen? Erleichtert bemerkte er, dass Popow eingetroffen war.
    Ohne ein Wort fasste ihn der General am Arm und führte ihn beiseite. »Zum Teufel, Hauptmann Koroljow. Wenn Sie nicht aufrecht stehen würden, könnte man Sie glatt mit der Leiche verwechseln.«
    »Stimmt, ich habe in den letzten Tagen einiges abgekriegt.«
    »Wie geht's dem Arm?« Mit der Pfeife deutete er auf die Schlinge, in der Koroljows rechter Arm hing.
    »Die Kugel ist vom Ellbogen bis zur Schulter glatt durchgegangen - nur eine Fleischwunde.« Er unterbrach sich, weil er an Oberst Rodinow denken musste, der ihm bei seinem Besuch im Krankenhaus jede Erwähnung des »Vorfalls« untersagt hatte. Aber er konnte ja nicht so tun, als wäre er unverletzt. »Mein Arm war ausgestreckt, daher hat es keine Knochen erwischt. Ich hatte Glück.« Koroljow malte sich lieber nicht aus, was passiert wäre, wenn der Schuss um einige Zentimeter besser gezielt gewesen wäre. Zumindest nicht, solange er sich im selben Raum befand wie Semjonows Leichnam. Und erst recht nicht wollte er sich an das metallische Klicken von Gregorins Waffe und das anschließende unerklärliche Verschwinden des Obersts erinnern. Der Herr war ihm gnädig gewesen, mehr war dazu nicht zu sagen.
    Sie stellten sich in die Reihe der Wartenden vor dem Sarg. Da es sich um eine bolschewistische Bestattung handelte, gab es weder einen Priester noch eine feste Zeremonie. Natürlich würden Popow und andere eine Grabrede halten. Ansonsten war der Ablauf nicht festgelegt, nur Koroljow war streng ermahnt worden, seine Beteiligung auf ein Minimum zu beschränken.
    »Sie werden doch nicht sprechen?«, flüsterte Popow, als hätte er Koroljows Gedanken gelesen. Die Frage klang wie ein Befehl.
    »Man hat mir aus gesundheitlichen Gründen davon abgeraten.«
    »Ja.« Zerstreut strich Popow mit dem Finger über ein Mosaik. »Auch mir wurde nahegelegt, mich kurzzufassen.« Mit erhobener

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