Russisches Requiem
kleiner zu sein. Alle lauschten atemlos.
Plötzlich krachte die Tür nach innen und riss Wolodjas Handgelenk mit, so dass der Koloss ein Stück weit nach hinten gestoßen wurde. Koroljow sackte auf die Knie, als mehrere Schüsse durch das dunkle Zimmer blitzten. Wolodja war zu Boden gestürzt, und seine Waffe rutschte auf den noch immer stehenden Gregorin zu, während Walentina ihre Tochter mit ihrem Körper zu schützen versuchte. Dann waren nur noch Nataschas Schluchzen und ein sonderbar gedämpftes Klopfen zu hören, als würde man mit einer Socke auf eine Trommel schlagen.
Scharfer Schießpulvergeruch erfüllte den Raum, als sich Koroljow aufrappelte.
Der Oberst richtete die Waffe auf ihn. »Bleib, wo du bist.« Gregorins Stimme erreichte ihn wie aus weiter Ferne. Die Schüsse hatten ihn halb taub gemacht. »Nein, schau nach Wolodja. Die Hände schön nach oben.«
Wolodja lag auf der Seite, das Gesicht zu Gregorin gewandt, und sein linkes Bein trat in unwillkürlichem Spasmus immer wieder gegen die Wand. Das war das seltsame Geräusch. Die von einem schwachen Lichtstrahl erfassten Augen des Fahrers blickten verwirrt zu Koroljow auf. Seine Jacke hatte schwarze Löcher, und um ihn herum breitete sich langsam eine dunkle Lache aus. »Wie sieht es aus?«, flüsterte der Koloss.
Koroljow antwortete nicht, weil er Semjonow bemerkt hatte, der an die entgegengesetzte Korridorwand geschleudert worden war. Aus einer langen roten Furche, durch die das Weiß seines Kieferknochens schimmerte, sprudelte ihm das Blut übers Kinn. Er war auch in die Schulter und Brust getroffen worden, und sein Atem schäumte rot vor dem offenen Mund. Er hatte nicht mehr lang zu leben.
»Wie sieht es aus?« Wolodjas Stimme wurde ein wenig lauter. »Ich spüre meine Beine nicht.« Koroljow musterte ihn und zuckte die Achseln. »Nicht gut.«
»Scheiße«, fluchte Gregorin. »Zurück an die Wand, Koroljow.«
Mit langsamen Schritten wich Koroljow zurück in die Ecke, ohne den Oberst aus den Augen zu lassen. Gregorin trat auf den Fahrer zu und zögerte nur kurz, bevor er die Waffe des Verletzten einsteckte. Er bewegte sich schwerfällig und belastete vor allem das rechte Bein, und als er sich kurz bückte, um die Pistole aufzuheben, erkannte Koroljow, dass sein linkes Hosenbein blutgetränkt war. Anscheinend hatte Semjonow die Ratte erwischt.
Wolodja erwiderte Gregorins Blick mit gelassener Miene und atmete langsam aus. »Tun Sie es. In dem Zustand komm ich hier nicht weg, das weiß ich. Für mich endet die Sache hier.«
Lange starrte Gregorin ihn an. »Tut mir leid, Bruder.« Er zielte und drückte mit geschlossenen Augen ab.
Wolodjas Körper zuckte einmal, dann hörte das Treten auf. Die rote Lache unter ihm breitete sich etwas schneller aus.
Koroljow hatte inzwischen mit dem Rücken die Wand erreicht und konnte nicht weiter zurückweichen. Er richtete sich auf und betete stumm um Vergebung seiner Sünden. Dann nahm er die Mündung von Gregorins Waffe wahr, die als schwarzes Loch direkt auf seine Nasenwurzel zielte.
»Das ist alles deine Schuld«, zischte Gregorin.
Koroljow schloss die Augen und wartete auf die Kugel. Er hoffte, dass er nichts spüren würde, und flehte zu Gott, Walentina und Natascha zu verschonen.
Klick, klick, klick.
Beim Geräusch des leeren Magazins schlug Koroljow die Augen auf. In leiser Verwirrung betrachtete der Oberst die Pistole. Schließlich schüttelte er ungläubig den Kopf. Einen Moment lang standen sie benommen voreinander, dann ließ der Oberst die leere Waffe fallen und hinkte zur Tür. Als er die Wohnung verließ, zog er Wolodjas Pistole aus der Tasche und drückte sie sich an das verletzte Bein. In der Ferne schrillte eine Milizpfeife, und Koroljow fragte sich, warum ihn der Oberst nicht erschossen hatte.
Er hörte, wie sich Gregorin entfernte und die Treppe hinunterstieg. Nicht die Angst machte ihn reglos, sondern das Staunen darüber, dass er noch lebte. Aber er war tatsächlich noch am Leben, und das hieß, dass er etwas tun musste. Er schüttelte sich, dann lief er hinüber in die Küche und riss ein scharfes Messer aus der Schublade.
»Hören Sie mir jetzt gut zu, Walentina Nikolajewna.« Er durchtrennte die Fesseln um ihre Handgelenke. »Sie müssen was für mich machen.« Er registrierte ihre vor Schreck geweiteten Augen und dann ihr entschlossenes Nicken. »Zuerst rufen Sie Oberst Rodinow an. Sagen Sie ihm, Gregorin hat Semjonow niedergeschossen. Er soll einen Krankenwagen schicken.
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