Russisches Requiem
sehen, richtete er sich auf, und als der Uniformierte seine Position eingenommen hatte, schlich er sich an der Wand entlang auf den Wagen zu, die Walther gerade nach vorn gestreckt. Das Automobil war leer, bis auf zerbrochenes Glas und verschmiertes Blut auf dem Fahrersitz. Natürlich, den Schlüssel hatte Wolodja. Er winkte den Milizionär heran und drehte sich um, da krachte eine Kugel in die Mauer hinter ihm und ließ Steinbrösel auf ihn niederregnen. Sofort ließ er sich auf die Knie sacken und überlegte, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war. Dann bellte zweimal der Revolver des Wachtmeisters. Wieder fiel ein Schuss, gefolgt von einem Schmerzensschrei hinter ihm. Hinter dem Kiosk umklammerte der Milizionär mit verzerrtem Gesicht seinen rechten Arm, die schwere Waffe zu seinen Füßen.
»Auf Ihrer Seite. Ein Hofeingang. Ungefähr vierzig Meter«, presste der Mann hervor.
Koroljow hörte rasche Schritte und drehte sich um. Weitere Milizionäre kamen mit gezückten Waffen angerannt, und er machte ihnen rasch Zeichen, in Deckung zu bleiben. Dann sprintete er die wenigen Meter bis zu dem geparkten Automobil und kauerte sich dahinter nieder.
Unmittelbar darauf vibrierte die Karosserie von einem Einschuss.
Die Milizionäre hatten inzwischen Schutz gesucht, und die Straße war auf einmal wie leergefegt. Nur ein Lastwagenmotor im Leerlauf war zu hören. Er legte sich flach auf den Boden, um den Hofeingang ins Visier zu nehmen, und erspähte einen kniehohen Stiefel mit einem langen dunklen Fleck darauf. Er zielte sorgfältig und feuerte. Sofort sprangen der Stiefel und sein Zwilling weg von der Staubwolke, die unmittelbar daneben aus einer Wand brach. Als er aufstand, um erneut zu schießen, pfiff eine Kugel an seinem Ohr vorbei, und gleichzeitig zersplitterte hinter ihm Glas. Gedankenschnell warf er sich zu Boden. Wäre er eine Katze gewesen, hätte er von seinen Leben höchstens noch zwei übrig gehabt.
In der anschließenden Stille hörte er Uniformierte heranhuschen und die hastigen, abgehackten Schritte eines Hinkenden. Er spielte mit dem Gedanken, alles Weitere den Milizionären zu überlassen, doch dann fiel ihm ein: Wenn Gregorin den Jauski-Boulevard erreichte, konnte er in der Menge untertauchen. Sofort sprang er auf.
Der Oberst entfernte sich bereits in erstaunlich schnellem Tempo, doch gerade als Koroljow hochkam, blickte er sich um und hob die Waffe. Koroljow war schon in Bewegung und feuerte unbestimmt in Gregorins Richtung, um ihn zumindest zu beschäftigen. Befriedigt registrierte er, dass sich der Oberst duckte. Doch schon näherte sich Gregorin dem Spalier von Soldaten, und die aufblasbare Kolchose zog mächtig an den Tauen, als sich blasse Gesichter nach dem Lärm umwandten.
Wieder schoss Gregorin, und in den ordentlichen Reihen entstanden panische Dellen. Hinter Koroljow feuerte ebenfalls jemand, und die Dorfschmiede machte einen plötzlichen Satz, da sich zwei Seilhalter flach zu Boden geworfen hatten. Die anderen mühten sich, den Ballon festzuhalten, doch ein weiterer Knall schwächte ihre Entschlossenheit, und die Schmiede entfloh mit erstaunlicher Anmut gen Himmel.
Als Gregorin - noch immer laufend - erneut anlegte, rettete sich Koroljow in einen bereits besetzten Eingang. Er krachte gegen einen gut genährten Mann mit vornehmer Pelzmütze, der ihn mit Flüchen empfing. Dann löste sich ein Schuss aus Koroljows Walther, und Gipsbrocken rieselten auf die Zufluchtsuchenden herab. Die Beschimpfungen verstummten schlagartig.
»Entschuldigung, Genossen, keine Absicht.« Koroljow wagte sich wieder auf die Straße. Vor ihm auf dem Jauski-Boulevard herrschte ein wildes Durcheinander. Das gesamte aufblasbare Dorf hatte sich selbstständig gemacht und schaukelte durch Bäume und längs den Wänden der hohen Wohnhäuser nach oben. Braun uniformierte Soldaten verstreuten sich in alle Richtungen. Ohne auf das Chaos zu achten, legte Koroljow konzentriert an und feuerte auf den hinkenden Oberst, verfehlte ihn jedoch erneut. Um den Fliehenden herum ließen sich Männer und Frauen auf den Boden fallen und hielten die Hände schützend über den Kopf.
Allerdings war Koroljows Schuss wohl nur knapp danebengegangen, denn Gregorin bremste und wirbelte mit erhobener Waffe herum. Ohne Deckung zu suchen, zielte Koroljow auf die Brust des Verräters und drückte ab. Zugleich sah er Gregorins Mündungsfeuer, und ein Schmerz fuhr ihm durch den rechten Arm, als ihn der Aufprall der Kugel ins Wanken
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