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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Leitung des Besitzes bringen, doch gegen seine persönlichen Ausgaben konnte sie nichts unternehmen. Wenn er auch streng war – das gute Leben gefiel ihm. Als Sohn Mischa heranwuchs und für die Garde bestimmt wurde, sorgte Alexej großzügig für ihn. Für die Familienehre, meinte er. Der Extra -bobrok aus Sawas Tätigkeit, der eigentlich in den Besitz hätte zurückfließen sollen, verleitete ihn zu noch größeren Ausgaben, die häufig seine Einnahmen überschritten. Dagegen nahm Sawa seinen eigenen Sohn hart heran. Der junge Ivan hatte zwar nicht die hochragende Gestalt des Vaters, war jedoch ein schlauer Junge mit einer schönen Singstimme. Sawa hatte an sich nichts dagegen, doch er bestimmte, wo das Interesse seines Sohnes an Musik ein Ende haben mußte. Als Ivan im Alter von dreizehn Jahren törichterweise mit einer soeben erworbenen Violine nach Hause kam, nahm Sawa sie und zerschlug sie auf dem Kopf des Sohnes, daß dieser fast betäubt wurde. »Dafür hast du keine Zeit«, hieß es. Neben dem vielen anderen, was Herrn und Knecht einander zum Feind machte, war auch Sawas religiöse Überzeugung. Er war ein Altgläubiger. Seine Verbindung zu den Theodosianern hatte er aufrechterhalten. Wenn er in Gesellschaft aß, tat er es in der Manier der Altgläubigen: Er saß abseits und benützte seine eigene Holzschüssel und einen kleinen Holzlöffel mit einem Kreuz darauf. Für Alexej war Sawas stilles Bekenntnis zu seinem Glauben höchst verdächtig. »Das ist gegen das Wohl Rußlands«, war seine unumstößliche Ansicht.
    Im Jahre 1832 nämlich hatte Zar Nikolaus' Regierung eine Doktrin aufgestellt, die in gewissem Sinn die Weichen des gesamten russischen Verwaltungsapparates für dieses Jahrhundert und darüber hinaus stellte: die berühmte Doktrin des Staatsnationalismus. Darin wurde weithin vernehmbar verkündet, das Wohl Rußlands liege in drei Dingen begründet: Orthodoxie, Autokratie des Zaren und Russentum.
    Alexej galt diese Doktrin vom Augenblick ihrer Verbreitung an als etwas Heiliges. Deshalb hielt der autoritäre Landbesitzer den unbeugsamen Altgläubigen für hinterhältig, unloyal und ungehorsam. Im Jahre 1837 fragte Sawa seinen Herrn, wieviel es ihn koste, die Freiheit seiner Familie zu erkaufen.
    »Nichts, denn ich werde dich niemals freilassen«, war die Antwort. Im folgenden Jahr erhielt Sawa auf dieselbe Frage dieselbe Antwort.
    »Darf ich wissen, warum, Herr?« fragte er. »Selbstverständlich«, erwiderte Alexej. »Weil ich dich lieber dort behalte, wo du bist, Suvorin.«
    1839 begann die Hungersnot. Jahrelang hatte es keine Mißernte gegeben. Nun fiel die Ernte zwei Jahre hintereinander aus. Alexej hielt sich in der Ukraine auf. Obwohl Tatjana fast siebzig war, lag die Last auf ihren Schultern.
    Für Russka waren die Mißernten und die darauffolgende Hungersnot außerordentlich schlimm. »Das Gut in Rjazan ist völlig am Ende«, jammerte Ilja. »Der Verwalter schreibt, sie haben das Vieh schlachten müssen, weil es kein Futter für den Winter gibt.« Im Winter 1840 war die Situation verzweifelt.
    Tagtäglich ging Tatjana in den Ort und von Haus zu Haus. Im Herrenhaus gab es noch einen eisernen Vorrat für Härtefalle. Zwei Besuche waren ihr besonders wichtig, der eine bei den Romanovs, denn ihr Sohn Timofej war der Spielgefährte des kleinen Mischa gewesen. Der zweite führte sie zu der isba, wo die junge Arina nun mit ihrem Mann und den vier Kindern lebte. Daß sie der Nichte half, schuldete sie der alten Arina, die fünf Jahre zuvor gestorben war. Es war eine elende Plackerei. Außer der Ältesten, einem freundlichen Mädchen namens Varja, kränkelten die Kinder, und innerhalb von vier Wochen sah Tatjana drei sterben. Was fast noch schlimmer war – sie konnte Arina nicht überreden, selbst etwas zu essen. Alles, was sie ihr gab, erhielt Varja. Im verzweifelten Versuch, wenigstens eines ihrer Kinder zu retten, opferte die Mutter sich auf. Tatjana war überzeugt, daß Arina sich lange Zeit von einer einzigen Rübe ernährt hatte. Das Leiden dieser Leute, das Tatjana mitgetragen hatte, schwächte auch ihre Gesundheit. Traurig meinte sie zu Ilja: »Irgend etwas ist in meinem Inneren geschehen. Ich glaube nicht, daß ich noch lang lebe.« Im Frühjahr 1840, als die Dinge sehr schlecht standen, kam ein merkwürdiges Gerücht in Umlauf. Tatjana hörte es von Ivan Romanov, als sie eines Morgens ihren Besuch in der isba machte. »Der Zar«, sagte er, »der Zar kommt hierher.«
    »Du meinst Zar

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