Russka
geschehen. Der Adel gestattet das nicht.« Er war schlau genug, um die Quelle von Sawas Reichtum zu ahnen. Es müssen diese verwünschten Theodosianer sein, dachte er. Er erinnerte sich, was ihm der rothaarige Priester in Russka im vergangenen Jahr erzählt hatte: Wo immer diese Altgläubigen ihre Unternehmen errichten, bekehren sie die ansässigen Bauern, und die orthodoxe Kirche verliert ihre Schäfchen.
Alexej konnte sich ausmalen, was geschehen würde, wenn er Suvorin nicht mehr unter seiner Aufsicht hätte. Die ganze Gegend würde von Schismatikern überschwemmt werden. Als ein Verfechter der Doktrin vom Staatsnationalismus war er entsetzt von dieser Vorstellung. Schließlich, und das war das Wichtigste, sagte er sich insgeheim: Meine Mutter lebt auch nicht ewig; und wenn sie einmal nicht mehr ist, dann presse ich diesen Schismatiker Suvorin aus, bis er aus dem letzten Loch pfeift. Soll er ruhig viel Geld verdienen – ich werde dafür sorgen, daß er dennoch als armer Mann stirbt. Als Sawa am nächsten Tag vorsprach, blickte Alexej Bobrov ihn kühl an und erklärte: »Ich danke dir für dein Angebot, Suvorin, doch die Antwort ist nein.«
Sawa wußte, daß diese Entscheidung keinesfalls in Bobrovs Interesse war; deshalb fragte er, wann über das Thema noch einmal gesprochen werden könne. »Niemals!« war die Antwort.
An jenem Abend erzählte Sawa seiner Frau von der Unterhaltung und meinte: »Dieser Dummkopf ist keiner Vernunft zugänglich.« Als sie ihren Mann trösten wollte, daß Alexej eines Tages vielleicht seine Ansicht ändern werde, antwortete Sawa grimmig: »Er gibt nicht nach, bis er ruiniert ist.«
Um diese Zeit fing Ilja an, sich merkwürdig zu verhalten. Niemand wußte, was in ihn gefahren sein konnte. Normalerweise saß er, wenn die Tage wärmer wurden, mit seiner Lektüre am Fenster im Salon oder auf der Veranda. Nun aber verbrachte er Stunden in seinem Zimmer und verschloß die Tür hinter sich, so daß das Personal keinen Zugang hatte. Und wenn er auftauchte, murmelte er mit gefurchter Stirn vor sich hin. Er lief stundenlang in der Allee oberhalb des Hauses auf und ab. Wenn Alexej oder Tatjana fragten, was mit ihm sei, bekamen sie nichtssagende Antworten. Als Ilja wieder einmal ruhelos in der Allee spazieren lief, verspürte Tatjana das erste Anzeichen; es war nicht viel, nur ein plötzlicher Schwindel. Einige Stunden danach, als sie im Salon saß, verlor sie für etwa eine halbe Minute das Bewußtsein. Sie sagte niemandem etwas davon, verrichtete weiterhin ihre tägliche Arbeit, doch von jenem Augenblick an dachte sie, daß ihre Tage gezählt seien. Eine Woche darauf wurde sie wieder ohnmächtig. Sie war einsam und hatte Angst. Sie wäre gern täglich in die Kirche gegangen, doch der rothaarige Priester in Russka gab ihr wenig Trost. So ging Tatjana ins Kloster und unterhielt sich mit den Mönchen, und das tat ihr wohl. Nach einer Sonntagsmesse kam eine Bäuerin, die sie kaum kannte, freundlich lächelnd auf sie zu und sagte: »Sie sollten den alten Einsiedler aufsuchen.« Tatjana hatte von dem Mann gehört. Er war einer der Mönche aus dem kleinen Kloster jenseits der Quellen, und er hatte zwei Jahre zuvor die Erlaubnis erhalten, sich tiefer im Wald in eine eigene Einsiedelei zurückzuziehen. Man erzählte sich, daß Vater Basilius ein sehr heiliger Mann sei.
Eine Woche lang schob Tatjana den Gedanken von sich, doch dann wurde sie wieder ohnmächtig und spürte einen Schmerz in der Brust, der sie zusammenzucken ließ. Zwei Tage darauf ließ sie den Kutscher einen kleinen einsitzigen Wagen anspannen und fuhr davon, ohne jemandem zu sagen, wohin.
Die Fahrt dauerte den ganzen Vormittag. Zuletzt mußte sie den Kutscher zurücklassen und das letzte Wegstück zu Fuß zurücklegen. Sie hatte sich den Ort ganz anders vorgestellt. Auf der ziemlich großen Lichtung stand eine einfache, doch solid gebaute Hütte, davor befand sich ein Gemüsegärtchen. Auf einer Seite sah Tatjana zwei Bienenstöcke in hohlen Baumstämmen. Vor der Tür stand ein Tisch mit Büchern und Papieren, und daran saß ein Mönch. Er sah Tatjana freundlich entgegen. Sie hatte gehört, er sei Asket und fünfundsiebzig Jahre alt. Zu ihrer Überraschung wirkte der Mann höchst kultiviert und energisch. Seine braunen Augen blickten sie klar und offen an.
»Oh, mir war so, als spürte ich jemanden kommen«, sagte er. Er nickte höflich, als Tatjana sich vorstellte, und holte einen Schemel für sie.
Es war angenehm warm. Die
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