Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
starrten schweigend in die flimmernde Nacht. Er spürte, wie sie erschauerte, und er sagte leise: »Ich möchte dich nur einmal im Leben küssen dürfen, nur dieses eine Mal.« Sie schüttelte langsam den Kopf und seufzte mit einem seltsam traurigen Lächeln. Dann legte sie ihre Arme um seinen Hals. Als sie wieder an die Weggabelung gelangten, wurde Pinegin unruhig.
    »Gehen wir lieber weiter zum Kloster«, meinte Karpenko. »Sie sind wahrscheinlich an uns vorbeigegangen.« Pinegin war anderer Meinung. »Ich gehe zurück«, sagte er. Zu Karpenkos Schrecken schritt er rasch den Pfad hinunter.
    Plötzlich nahm Pinegin eine Bewegung wahr, einen Umriß; er sah zwei Menschen eng umschlungen stehen. Einen Augenblick lang trennten sie sich, so daß er im Mondlicht die Gesichter deutlich erkennen konnte.
    Eine Minute lang war Pinegin keiner Bewegung fähig. Olga, um deren Hand er bitten wollte, war mit einem anderen Mann zusammen – mit ihrem verwünschten Bruder. Kalte Wut packte ihn. War sie nicht fast schon sein eigen? Warum sollte er das zulassen? Er verließ den Pfad und wollte zu den beiden hingehen. Dann aber überlegte er es sich. Diese Frau, die er geliebt hatte, war für ihn gestorben.
    In diesem Augenblick kam Karpenko heran. »Pinegin! Was tun Sie da?« rief er. »Nichts!«
    »Gehen wir zu den Quellen und warten dort auf sie«, schlug der Kosak laut vor, damit die Geschwister ihn hören konnten. Während die Männer zu den Quellen gingen, war Pinegin sehr still. Kühl zählte er die Minuten. Als er eben zum Schluß gelangte, daß das Fürchterliche geschehen sein müßte, daß Sergej Olga besessen haben müßte, kamen die beiden den Pfad entlang. »Wir haben überall nach euch gesucht«, sagte Sergej. »Es ist spät«, murmelte Olga, »wir sollten nach Hause gehen.« Sie trat neben Pinegin.
    Auf dem langen Heimweg wurde wenig gesprochen. Als schließlich das Haus in Bobrovo in Sicht kam, dämmerte schon fast der Morgen herauf.
    Unterwegs waren Pinegin verschiedene Gedanken gekommen. Was auch Olgas Fehler sein mochte – alle Frauen waren wohl schwach –, Sergej hatte ihn zum Narren gemacht. Er ahnt es, dachte Pinegin, er hat mein Interesse bemerkt. Und nur deshalb hat er das getan! Das einfachste wäre es wohl, Sergej herauszufordern, doch über ein Duell, gleichgültig, wie es ausgehen mochte, würde auf alle Fälle gesprochen werden. Das würde Olga der allgemeinen Verachtung preisgeben. Das wäre unter seiner, Pinegins, Würde. Aber ich werde mich rächen, dachte er.
    Die große Kutsche kam die Auffahrt herauf, hielt jedoch nicht vor dem Haupteingang, sondern vor den Ställen an der Seite. Sergej sah zuerst seinen Bruder Alexej mit dem Ausdruck grimmigen Triumphs, dann einen finster dreinblickenden Soldaten aussteigen.
    Sergej wurde plötzlich totenblaß. Aus der Kutsche zerrten sie eine bärtige Gestalt, die Hände in Ketten, die, als sie sich aufrichtete, alle überragte. Sie hatten Sawa Suvorin gefaßt. Sergej wußte, daß es seine Schuld war. Es hatte nichts genutzt, daß er sein Geheimnis bewahrt hatte!
    Dieser winzige Augenblick von Unachtsamkeit damals auf jener Moskauer Straße! Er hatte beim Anblick Sawa Suvorins laut seinen Namen gerufen, und da er meinte, Sawa habe ihn nicht gehört, hatte er dummerweise die Straße überquert und ihn beim Arm genommen. Erst als er fühlte, wie Suvorin erstarrte, erinnerte er sich, daß der Leibeigene ja ein Entlaufener war. Sergej war immer empört gewesen über die Behandlung der Suvorins. »Keine Angst, ich verrate dich nicht«, meinte er rasch. Aber Sawa ging kein Risiko ein. »Eine Verwechslung«, murmelte er. »Ich heiße nicht Sawa.« Dann wandte er sich ab und verschwand in einem Toreingang.
    Sergej folgte ihm nicht. Er blieb einen Augenblick stehen, bis er plötzlich bemerkte, daß sie nur einige Meter von der Grundstücksmauer der Theodosianersekte entfernt waren. »Die Theodosianer«, murmelte er, »natürlich, das muß es sein.« Er hatte davon gehört, daß diese Altgläubigen Menschen aufnahmen und ihnen manchmal falsche Namen und Papiere gaben. Sicher war das der Fall mit Sawa Suvorin. Nun, soll er Glück haben. Sergej wandte sich um und sah plötzlich seinen Diener neben sich stehen, und da erinnerte er sich, daß dieser einer der Leibeigenen von dem Gut in Russka war. Was hatte der Bursche mitgehört? Er hatte ihm Prügel angedroht, falls er irgend etwas ausplaudern sollte. Offenbar hatte das nicht gewirkt.
    Da stand auch eine rundgesichtige Frau;

Weitere Kostenlose Bücher