Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
unmittelbaren Nähe.“ „Richtig“, nickte Papa. „Nur eins muß sicher sein, Sonnie, es muß hundertprozentig sicher sein.“
„Und das wäre?“
„Daß ihr euch liebt. Daß ihr euch wirklich bis in die Tiefe eurer Seelen liebt.“
„Das ist sicher, Papa.“
„Ich glaube es schon. Aber ihr sollt euch prüfen, Sonjakind. Ihr sollt einander und euch selbst gegenüber ehrlich sein. Ist die Liebe so groß, daß sie euch über alle Schwierigkeiten hinweghelfen wird, so tief und so innig, daß sie alle Probleme für euch lösen kann? Ist sie so - verdammt noch mal!“
Das letztere bezog sich nicht auf die Liebe, sondern auf das aufdringlich läutende Telefon. Das Biest neigt sehr dazu, in unserem Haus die nettesten Stunden, die wichtigsten Gespräche, das gemütlichste Zusammensein zu unterbrechen.
Zwei Minuten später saß mein vielgeplagter Vater im Wagen und sauste Richtung Klinik.
Wie gesagt, das war alles nach Heikos Besuch im Juni. Er fuhr zurück zu seinen Flugstunden und seinen Büchern. Er hatte mir anvertraut, daß er es wagen würde, schon in diesem Herbst sich Hals über Kopf ins Examen zu stürzen. Außerdem hatte er schon einen Doktorvater und ein Thema für seine Doktorarbeit. Wenn er viel
Glück hätte, gesund bliebe und seine sehnsüchtige Braut mit sehr kurzen Briefen abspeisen dürfte, wäre es möglich, daß er im nächsten Frühjahr oder Anfang des Sommers seinen Doktortitel unter Dach und Fach hätte. Und dann - ja, dann!
All das ging mir durch den Kopf, als ich an diesem Herbsttag dastand, mit einem der sehr kurzen Briefe in der Tasche und mit dem Brathähnchen vor mir auf dem Küchentisch.
Beatemutti schaltete den Backofen ein.
„Du brauchst doch nur den irdenen Topf für das Hähnchen?“ „Gewiß. Nimm du den Ofen für deinen Kuchen.“
Sie goß den Teig in die Springform, kratzte alles sorgfältig aus der Rührschüssel.
„Sonjakind, ich stehe hier und denke an Heiko.“
„So, tust du das? Ich auch!“
„Was du nicht sagst. Weißt du noch damals im Sommer, als wir von der hundertprozentigen Liebe sprachen-“
„ - und Papa wegrennen mußte, ja das weiß ich genau.“
„Ich denke auch an die hundertprozentige Liebe, Sonnie.“ „Bezweifelst du, daß Heikos und meine Liebe hundertprozentig ist?“
„Ich bezweifle nichts. Aber ich frage mich immer, ob ihr euch gut genug kennt. Es war eine Urlaubsliebe, Sonnie - jeder Mensch ist im Urlaub glücklich, munter - sozusagen sympathisch! Ich meine, wagt ihr es, eure ganze Zukunft auf eine Urlaubsbekanntschaft zu gründen? Was weißt du über Heikos Alltagsleben, über seine Gewohnheiten, seine Schwächen und Fehler? Und was weiß er über deine?“
Ich holte die Paprikabüchse und schraubte langsam den Deckel
ab.
„Nein, da kannst du recht haben, Mutti. Aber siehst du, wir haben so sehr viel gemeinsam, und wir haben uns geliebt - ja wirklich auf den ersten Blick - , und ich glaube fest und sicher, daß unsere Liebe groß genug ist, um uns über kleine Alltagsschwierigkeiten hinwegzuhelfen.“
Ich rieb das Hähnchen sorgfältig mit Paprika ein. Dann sprach ich weiter:
„Und vergiß nicht, daß meine Liebe so groß ist, daß ich willig und bereit bin, alles zu verlassen und mit Heiko ein neues Leben in einem fremden Land anzufangen-“
„Halt!“ sagte Beatemutti. „Jetzt bist du genau bei dem wunden
Punkt.“
„Wieso?“
„Daß du mit Heiko zusammen die Erfüllung deines größten Wunsches gern erlebst, das glaube ich dir schon! Du darfst aber dir selbst nichts vormachen, Kind. Du betrügst dich selbst, wenn du gerade das als Liebesbeweis anführst. Ich wäre mehr überzeugt, wenn du um Heikos und um deiner Liebe willen auf deinen Wunschtraum verzichten könntest. Könntest du das Sonja? Wenn nun eure ganzen Afrikapläne ins Wasser fallen sollten, wenn nun Heiko dasäße und sein schönes Examen nur als Ausgangspunkt für eine Studienratsstellung in Hamburg verwenden könnte? Wenn du dein Leben in einer ganz gewöhnlichen Mittelklassewohnung in Hamburg verbringen müßtest, deinen Haushalt machen, Kinder kriegen, jeden Sommer an der Nordsee oder in einer Familienpension in Bayern verleben müßtest - liebst du ihn so, daß du das könntest, Sonja? Alles hier verlassen, nicht wegen eines herrlichen, abenteuerlichen Lebens bei deinen Löwen und Giraffen in Afrika, sondern wegen eines ganz gewöhnlichen Alltagsdaseins in Hamburg oder in einer anderen deutschen Stadt. Die Frage mußt du dir stellen, Kind. Wenn
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