Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
sechzig Pfennig - oder so ein Miniatur-Salatbesteck, das auch denkbar billig war?
Natürlich war es eine Kleinigkeit, es bedeutete doch nichts, daß man in dieser Familie weniger schenkte und weniger auf die Beine stellte, um etwas zu feiern. Vielleicht war Heikos Familie normal und meine eigene ein bißchen verrückt.
Aber, aber - manchmal war es doch schön, verrückt zu sein!
Am Abend brachte Heiko mich zum Kieler Zug. Wir fuhren mit der Straßenbahn zum Bahnhof. Das Wort Taxe wurde überhaupt nicht erwähnt. War ich denn ein verwöhntes Luxusmädchen, weil es mir selbstverständlich vorkam, mit einem unhandlichen Koffer per Auto zum Bahnhof zu fahren? Es war die schlimmste Verkehrszeit, nur mit Mühe und Not kamen wir selbst und der Koffer in eine überfüllte Bahn und standen so eng wie die Dosenheringe.
Aber beim Abschied am Bahnhof vergaß ich alles, was mir fremd und merkwürdig vorgekommen war. Denn Heikos Abschiedsworte, die er mir ins Ohr flüsterte, sein Händedruck, der Ausdruck in seinen Augen - ja, das machte mein Glück wieder groß und bewußt.
Senta war am Bahnhof in Kiel. Wir fuhren - per Taxe! - zu Frau von Waldenburg, wo der Hund Bicky mich stürmisch empfing und wo ein schönes warmes Abendessen bereitstand.
Am folgenden Morgen packte Frau von Waldenburg uns in ihren Wagen, fuhr zuerst Senta zur Universitätsklinik, wo sie heut als Diätküchenschülerin anfing, und dann brachte sie mich zum Kai.
Wie war ich froh, daß Senta diese reizende Frau von Waldenburg hatte, daß sie ihr schönes Zimmer behalten durfte - und dann hatte sie Rolf in der Nähe. Was für ein Glückspilz war doch meine Schwester. Während ich... Ja, ich hatte das Gefühl, daß das Leben, das vor mir lag, mir etliche Komplikationen verschaffen würde.
„Ach was!“ sagte ich mir selbst. „Du hast grade die schönsten Tage deines Lebens hinter dir, und du hast ein Leben mit dem Mann, den du über alles auf der Welt liebst, vor dir. Was machst du dir bloß für unnötige Sorgen, du Schaf?“
Am folgenden Morgen war ich in Oslo, und da sah ich, wie schon gesagt, Beatemutti, Katrin und Annettchen auf dem Kai.
Jetzt stand ich also an diesem kühlen Herbsttag am Plättbrett. Während ich in Gedanken die Geschehnisse der letzten Monate noch einmal erlebte, waren die Stöße fertiger Plättwäsche sehr schön gewachsen. Nur noch das Kleid von Annettchen und dann zwei Blusen...
Wenn ich bloß bald Bescheid von Heiko bekäme! Jetzt müßte doch das Examensresultat da sein. Ich war riesig gespannt! Wenn nun alles gutgegangen war, hatten wir eine ganz große und schwere Sprosse unserer Glücksleiter unter uns. Dann waren wir viel, viel näher am Ziel! Aber wenn er nun Pech gehabt hatte? Es war ja ein Wagnis gewesen, daß er sich jetzt schon zum Examen gemeldet hatte. Oh, wenn bloß, wenn bloß...
Das Telefon klingelte. Ich stellte das Eisen auf den Rost und ging ran.
„Hier bei Dr. Rywig, Privatwohnung.“
Dann machte mein Herz einen Purzelbaum. Denn am anderen Ende der Leitung wurde deutsch gesprochen.
„Bist du es, Sonnie?“
„Heiko! Liebster - was ist - “
„Glück gehabt, Liebling! Bestanden! Fein bestanden! Ich schreibe dir heut! Ich komme Silvester! Geht es dir gut?“
„Fein, Heiko! Du, wie schön, daß du-“
„Schon fünf Gesprächseinheiten, Sonnie, ich lege auf, Wiedersehen, mein Herz!“
Bums. Hörer zurückgelegt. Ich mußte lächeln. Mein sparsamer Heiko! Fünf Gesprächseinheiten zu 18 Pfennig - 90 Pfennig hatte er spendiert.
Ach, mein lieber, vernünftiger, bescheidener Heiko!
Himmel, wie war ich froh, daß es gutgegangen war! Nun konnte er sich ganz und gar auf die Doktorarbeit konzentrieren - oder -vielleicht mußte er gleich anfangen zu arbeiten und die Doktorarbeit nebenbei machen. Nun, das würde er mir alles schreiben. Denn heute würde er wohl die Zeit für einen langen Brief aufbringen können!
„Schon fünf Gesprächseinheiten“ - und wenn er nun noch fünf zugegeben hätte, damit ich ihm sagen konnte, wie glücklich ich war und wie ich mich freute! Aber - ach Unsinn, warum Geld für etwas ausgeben, was er sowieso wußte!
Wieder lächelte ich und ging zurück zum Plättbrett. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, daß mein Lächeln sozusagen durchs Gehirn gegangen war. So ganz von allein war es nicht auf mein Gesicht gekommen.
„Quatsch, Sonja“, sagte ich mir selbst. „In fünf Wochen kommt Heiko! Du kannst schon anfangen, Striche in den Kalender zu machen!“
Und dann
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