Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
und daß man mir etwas zum Trinken einflößte. Alles war mir so ziemlich gleichgültig. Aber als ich in eine Art Fischnetz gestopft und in erprobter Mondkapsellandungsart in einen Hubschrauber hochgezogen wurde, da empfand ich wohl doch eine Erleichterung. Der Charlie kam erst im Hubschrauber zu sich, der arme Kerl. Er hatte scheußliche Schmerzen. - Ja, dann ging es ruckzuck zum Krankenhaus, das war’s!“
Wir sahen Heiko an, konnten anfangs keine Worte finden. Ich konnte nur Heikos Hand drücken.
Zuletzt flüsterte Tante Helene: „Und daran bin ich schuld, Heiko. Ich hatte dich auf diese Expedition losgeschickt!“
„Aber du hast nicht den Reifen zum Platzen gebracht, Tante Helene“, tröstete Heiko. „Mach dir keine Vorwürfe und glaube bloß nicht, daß ich es jetzt mit der Angst bekommen habe. Wenn du mir einen neuen Auftrag gibst, sage ich sofort ja!“
„Paß bloß auf, daß ich dich nicht beim Wort nehme“, sagte Tante Helene. „Du ahnst ja nicht, welchen Auftrag ich für euch in petto habe!“
Der Ober brachte unser Fleischgericht, und ich schnitt alles hübsch in Stücke auf Heikos Teller. Solange der Ober uns dienstbeflissen umkreiste, wechselten wir nur belanglose Worte. Erst als der Nachtisch - übrigens Eis mit frischen Walderdbeeren, ein wahres Gedicht! - gekommen war, sprach Tante Helene weiter.
„So, Kinder, und nun sollt ihr mir zuhören. Ich möchte heute mit euch sprechen, weil wir noch allein sind. Morgen kommt die ganze Magellanmeute, dann gibt es nur Programm und keine Ruhe. Aber ihr dürft mich nicht unterbrechen. Ich habe sehr viel auf dem Herzen. Und ich muß mit etwas anfangen, was bei euch, oder jedenfalls bei dir, Sonja, Proteste auslösen wird: nämlich mit meinem Alter. Mit der Tatsache, daß ich bald am Ende des Lebens stehe. Nein, Sonja, halt deinen Mund! - Ihr wißt auch, was für ein reiches, schönes Leben ich gehabt habe, wie diese Aufgabe, die auch die eure ist, die Arbeit für die Erhaltung der Natur und der Tiere, mich immer erfüllt hat und noch erfüllt. Noch ist mein Kopf klar, noch kann ich Entschlüsse fassen, Pläne machen, Arbeit organisieren. - Aber der Tag wird kommen, wo ich es nicht mehr kann. Sonja, erinnerst du dich an unser Gespräch gestern im Zoo? Ich erzählte dir, daß ich so gern Kinder gehabt hätte. Siehst du, jetzt habe ich keinen Sohn, keine Tochter, die meine Arbeit, weiterführen können. Mein Mann starb’ plötzlich, an einem Herzschlag. Wir hatten keine Entschlüsse über das weitere Schicksal der Mary-Green-Stiftung gefaßt. Ich kann euch gar nicht sagen, wie diese Frage mich seit Jahren beschäftigt: Wer kann unsere Arbeit weiterführen? Wo ist der junge, gesunde Mensch, der von unserer Aufgabe so erfüllt ist wie ich? Wo ist der Mensch, in dessen Hände ich alles legen kann, und dann ruhig sterben?“
„Ja, ja, ihr wißt beide, was ich jetzt fragen werde. Ich sitze ja nicht hier und philosophiere ins Blaue hinein. Heiko, ich meine, den Menschen gefunden zu haben - oder die Menschen - den Mann, den ich brauche, und die Frau, die mit Leib und Seele dabei sein wird.
Sonja und Heiko - wollt ihr, könnt ihr das Erbe auf euch nehmen? Seid ihr imstande dazu, die damit verbundenen Opfer zu bringen? Könnt ihr Deutschland verlassen und euch mit dem Gedanken versöhnen, euren festen Wohnsitz in England zu kriegen? Kannst du, Heiko - ja, daß du kannst, bezweifle ich nicht - , aber willst du die Verwaltung der Mary-Green-Stiftung übernehmen?“
Heiko sah Tante Helene an. Zum ersten Mal entdeckte ich einen verräterisch feuchten Glanz in seinen Augen. Er räusperte sich, schluckte - dann sprach er.
„Tante Helene, wie könnte ich es ablehnen? Wie könnte ich dich enttäuschen? Aber andererseits - werde ich es schaffen? Was weiß ich über die Vielseitigkeit deiner Arbeit? Ich werde es versuchen, Tante Helene. Wenn du willst, kann ich ein Jahr oder ein halbes Jahr oder so lange wie du denkst, mit dir im Institut arbeiten. Wenn du nach dieser Probezeit siehst, daß es doch nicht geht, daß ich wohl Tierbeobachtungen machen und Berichte verfassen und Filme drehen kann, aber daß ich in puncto Organisation hoffnungslos unbegabt bin - dann sagst du es mir, und du suchst dir einen besseren Nachfolger aus!“
„Du vergißt etwas, Heiko. Was war ich, als ich diese gewaltige Arbeit auf mich nahm? Eine fünfundvierzigjährige Frau, ohne jegliche Ausbildung, nur mit sehr viel Liebe zur Natur und zu den Tieren ausgerüstet - und mit den
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