Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
ein märchenhaft schöner Vormittag zu Ende.
Ein Vormittag, den ich nie in meinem Leben vergessen werde.
Das vollkommene Glück
Endlich, endlich war es soweit!
Wir hatten uns von dem Krankenhausarzt, von zwei Krankenschwestern und von dem armen schwerverletzten Charlie verabschiedet. Ich hatte einen Scheck von Tante Helene überreicht. Selbstverständlich bezahle das Institut die Krankenhausrechnung, hatte sie erklärt. Dann hatte sie mich allein losgeschickt, um Heiko abzuholen. Meine Proteste nützten überhaupt nichts.
„Ich bin doch kein Untier!“ hatte sie erklärt. „Es wäre noch schöner, wenn ihr die paar ersten Stunden nicht allein sein solltet! Außerdem habe ich zu tun!“
„Was denn?“ wollte ich wissen.
„Unter anderem umziehen. Ich habe ein neues Zimmer gekriegt und überlasse jetzt Heiko mein Bett, meinen Nachttisch, meine Hälfte von der Kommode - ja, und dich.“
„Der Umzug dauert höchstens fünf Minuten, Tante Helene!“
„Ich habe noch mehr zu tun, und ich komme nicht mit, hast du das endlich begriffen? Hast du Geld genug für das Taxi? Na, das ist ja gut. Mach nun endlich, daß du wegkommst!“
Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich umarmte Tante Helene herzlich und zog los.
Und jetzt hatte ich Heiko neben mir im Auto. Im Gepäckraum lag sein etwas mitgenommenes Gepäck oder vielmehr das, was nach dem Unfall übriggeblieben war.
Ich hatte andächtig zugesehen, wie Heikos Verbände gewechselt wurden, und hoch und heilig versprochen, es jeden Tag zu tun. Ebenso hatte ich mein Ehrenwort gegeben, ihn in Melbourne zu einem Arzt zu zerren, damit die Fäden gezogen wurden. Dann hatte man mir ein dickes Paket Mull, Pflaster und Kompressen mitgegeben, tausend Ermahnungen und gute Ratschläge - und dann durften wir das Krankenhaus verlassen.
Übrigens sah Heiko heute nicht ganz so schreckeinjagend aus wie gestern. Der dicke Kopfverband war weg, statt dessen hatte er auf der einen Stirnhälfte eine Kompresse, die mit Pflasterstreifen festgehalten wurde. Sein rechter Arm lag in einem Dreiecktuch. Es sei meine Sache, hatte der Arzt gesagt, aufzupassen, daß er auch dabliebe, jedenfalls bis die Fäden gezogen waren.
„Was machen die Leute bloß für ein Theater!“ seufzte Heiko.
„Ich bin putzmunter, ich könnte Bäume ausreißen!“
„Das kannst du mir morgen im Botanischen Garten zeigen, da wirst du Bäume genug finden!“
Wir waren beide albern, lachten und sagten nur Dummheiten, ganz einfach weil wir nicht wußten, wo wir mit unseren Fragen und Erzählungen anfangen sollten!
Das würde nach und nach kommen. Wir hatten ja so schrecklich viel zu berichten, wir hatten beide so viel erlebt! Zuerst mußten wir zur Ruhe kommen. Wir hatten ja jetzt Zeit! Wir waren ja wieder zusammen!
Als wir in unser Hotelzimmer traten, blieb ich stehen. Nein, diese Tante Helene! Auf dem Tisch stand ein schöner Blumenstrauß, auf der Kommode eine Schale erlesenes Obst, und daneben lag ein Zettel: „Ich schlafe! Möchte nicht gestört werden! Habe für halb acht einen ruhigen Tisch in einer friedlichen Ecke des Speisesaals reservieren lassen. Wir treffen uns dann! Eure T. H.“
„Sie ist nicht wahr!“ sagte ich.
Heiko lachte.
„So kann man nicht sagen, Sonja, das ist kein Deutsch!“
„Ich weiß es, es ist direkt übersetzt von einer Wendung, die auch nicht Norwegisch ist, aber man sagt es doch. Du weißt genau, was ich meine. Es ist eine Kürzung von ,sie ist ein so guter Mensch, daß sie ein Phantasiegebilde sein muß, sie kann nicht wirklich sein’!“ „Nun ja, zugegeben, deine Fassung ist kürzer“, lachte Heiko. „Also schenken wir meiner Muttersprache diese Bereicherung und bleiben dabei: Sie ist nicht wahr!“
Es war ein sehr schönes Hotelzimmer. „Entschieden gemütlicher als das Krankenzimmer“, meinte Heiko.
Tante Helenes Fotosachen, Reisetasche und der eine Schlafanzug von Heiko waren weg. Ebenso das gewaschene und bestimmt noch feuchte Ayers-Rock-Kleid.
„Setz dich“, sagte ich. „Du bist noch Patient!“
„Heiliger Bimbam, jetzt fängst du auch an! Ich bin kein Patient, ich bin dein Herr und Gebieter und Tyrann, und meine Worte sind dir Gesetz, daß du es weißt! Nun läßt du das blöde Gepäck, das Auspacken eilt nicht. Jetzt kommst du sofort hierher, nur etwas ist jetzt wichtig, - den Kuß von gestern vor den Augen des Arztes rechne ich nicht mit.“ Plötzlich wurde seine Stimme anders, leise, warm, so wie ich sie von unseren schönsten Augenblicken
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