Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
kannte. „Mein Mädchen, mein Sonnielein, du kannst dir gar nicht vorstellen,
wie ich mich gesehnt habe!“
„Doch, Heiko, das kann ich. Glaubst du vielleicht, daß ich mich weniger sehnte?“
„Sonnielein - daß ich dich wiederhabe.“
„Und ich dich, Heiko.“
Es war halb acht abends, und wir hatten uns so fein gemacht, wie es mit unseren äußerst begrenzten Mitteln möglich war. Heiko besaß noch ein sauberes Hemd, mein Aysers-Rock-Zweidollar-kleid war gerade noch trocken geworden. Eine Blume von dem schönen Strauß war mein einziger Schmuck. Die mitgenommenen Sandalen hatte ich mit Klopapier saubergemacht. Dann hatte ich Heikos Hose mit seiner kleinen Taschenbürste notdürftig abgebürstet und seine Haare gekämmt und die Nägel seiner rechten Hand geschnitten. Mehr konnten wir nicht zur Feier des Abends tun.
Tante Helene sah übrigens auch nicht viel besser aus. „Das Beste, was man über mich sagen kann, ist, daß ich frisch gebadet bin“, lachte sie. Ihr verwaschenes Kleid war aber sauber, und ihre Haare sorgfältig gekämmt. Außerdem spielte das alles keine Rolle. Tante Helene hat etwas an sich, was jedem Menschen Respekt einflößt; eine freundliche Sicherheit, eine durchaus nicht aufdringliche Autorität, es liegt etwas in ihrem Blick, ihrer Stimme und ihren Bewegungen, das so unbedingt die Lady verrät.
„Sagt mal, Kinder“, fragte sie als wir die Vorspeise intus hatten, „seid ihr sehr müde?“
„Müde?“ lachte Heiko. „Nachdem diese Biester im Krankenhaus mich tagelang im Bett gehalten haben? Ich könnte.“
„. Bäume ausreißen, ich weiß“, unterbrach ich. „Tante Helene, was hast du mit uns vor? Etwas, wozu wir Muskelkräfte brauchen? Schieß nur los!“
„Nein“, sagte Tante Helene. „Ich möchte nur etwas mit euch besprechen. Aber zuerst will ich wissen, Heiko, wie passierte der Autounfall? Ich weiß ja nichts, nur das, was in der Zeitung stand!“ „Ich auch nicht!“ rief ich. „Glaubst du, daß dieses Scheusal mir ein Wort erzählt hat? Während er aus mir alles rausgeholt hat, vom Erdbeben bis zu den Koalas, von Hongkong bis Ayers Rock!“
„Also, Heiko“, sagte Tante Helene. „Was passierte? Wieso kam es zu dem Unfall?“
„Ein Reifen platzte - schlicht und ergreifend. Und das an einer Stelle, wo wir rechts eine steile Bergwand aufwärts und links eine genauso steile abwärts hatten. Ich war am Steuer, Charlie und ich haben uns ja immer abgelöst. Ja, versucht ihr mal, mit einem geplatzten Reifen auf einer schmalen, sandigen und steinigen Straße zu bleiben. Ich gebe ehrlich zu, daß die nächsten Sekunden nicht besonders schön waren. Charlie wurde gleich bewußtlos, er ist mit dem Kopf gegen das Autodach gebumst, aber ich hatte das Vergnügen, alles bewußt mitzuerleben, und dabei war es mir ja ziemlich klar, daß dies mein letztes Erlebnis sein würde. Der Wagen purzelte einmal ganz rum - oder anderthalbmal. Denn als er liegenblieb, lag er auf der Seite und Charlie wie ein Häufchen Unglück auf einer kaputten Fensterscheibe und ich wie ein Knäuel hinter dem Steuer, das ich komischerweise noch festhielt. Ich war wohl mit dem Kopf durch das Frontglas gestoßen, denn das Blut lief und störte mich sehr, als ich rausgucken wollte, um die Lage zu peilen.“
Ich lauschte atemlos, und noch nachträglich kam mir der kalte Angstschweiß.
„Es war mir klar, daß unsere Lage nicht allzu rosig war. Die erste Frage: Wann würde das Gebüsch nachgeben, war dies nur eine Pause vor dem endgültigen Absturz? Ich wagte mich kaum zu rühren. Und dann bestand die Gefahr, daß Charlie zu sich kommen und eine Bewegung machen würde. Außerdem fing ich an, mich ein bißchen schlapp zu fühlen. Ich hatte wohl zuviel Blut verloren. Sonja, du bist so blaß um die Schnute, soll ich aufhören?“
„Nein“, flüsterte ich und ergriff seine Hand. „Erzähl weiter.“
„Ja, und dann trat also unser Schutzengel auf und schickte ein Auto. Die Leute sahen ja, was passiert war. Unsere Habe lag so ziemlich verstreut in der Gegend. Und als ein entsetztes Gesicht da oben am Straßenrand zum Vorschein kam, versuchte ich, durch das Türfenster über meinem Kopf zu winken. Und dann rief jemand etwas von Hilfe holen und ruhig bleiben oder so was, und dann weiß ich einfach nichts mehr! Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis jemand mit Seilen und diesem und jenem runterkletterte. - Ich habe nur eine Ahnung davon, daß jemand mir irgendwelche Plünnen um den Kopf rumtüterte
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