S - Spur Der Angst
Unannehmlichkeiten.
»Und Sie sind sich sicher, dass sie in meinem Trupp am besten aufgehoben ist?«
»Warum nicht?«, fragte Lynch mit gerunzelter Stirn. Trotz seines Geschwafels über offene Diskussionen und Respekt gegenüber anderer Leute Meinung war er so nachgiebig wie eine Eiche. Dem Reverend gefiel es gar nicht, wenn man sich ihm entgegenstellte. Obgleich Trent noch nicht lange am Institut war, hatte er das begriffen. Lynch selbst sah sich als liebenswürdigen, umsichtigen und gerechten Schulleiter, der Schüler und Personal mit fester, doch wohlüberlegter Hand führte, dabei war er in Wahrheit davon überzeugt, nur er allein könne die »richtigen« Entscheidungen treffen. Sein Wort war Gesetz.
Dennoch musste sich Trent gegen diese Entscheidung auflehnen; er durfte Jules’ Schwester nicht so nahe kommen, das war viel zu gefährlich. Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Mitunter bedarf ein schwieriges Mädchen einer starken weiblichen Führungsperson, die eher nachempfinden kann, was es durchmacht.«
»Nein.« Lynch winkte ab. »Die bestimmt nicht – frauendominiert, verwirrt, was Vaterfiguren anbelangt.« Er lächelte. »Das ist perfekt für Sie.«
»Rhondas Trupp ist voll, genau wie meiner«, erklärte Burdette, »außerdem haben wir noch nie geschlechtsspezifische Zuteilungen vorgenommen. Das ist doch keine große Sache. Solange wir keine weitere Lehrkraft finden, die eine eigene Gruppe übernimmt, müssen wir alle unseren Beitrag leisten – mehr als das, um genau zu sein. Wenn es ein Problem gibt, kann sich das betroffene Mädchen selbstverständlich an jeden Einzelnen von uns wenden, und es gibt ja auch noch die Beratungsgespräche für die Schülerinnen.« Ohne sich vom Fenster abzuwenden, warf sie Trent einen Blick über die Schulter zu, die Augenbrauen leicht gefurcht. »Oder haben Sie ein Problem damit, das Mädchen in Ihren Trupp aufzunehmen?«
O ja, und zwar ein gewaltiges. »Ganz und gar nicht«, log er und hoffte, überzeugend zu klingen. »Ich habe lediglich laut nachgedacht und mich gefragt, was wohl das Beste für sie wäre.«
»Gut.« Der Reverend wirkte erleichtert. »Die Bedürfnisse unserer Schüler stehen bei uns stets an erster Stelle. Da in Ihrem Trupp noch ein Platz frei ist, kommt sie zu Ihnen.« Er nickte, wie um seine eigenen Worte zu bekräftigen und sich im Stillen zu gratulieren, wieder einmal gute Arbeit geleistet zu haben. »Könnte interessant werden.«
Mehr als interessant. Trent fiel auf, dass die argwöhnischen Runzeln auf Burdettes Stirn nicht ganz verschwunden waren. Die Schule stand unter Druck – mehr, als irgendwer zugeben würde. Dass eine Lehrkraft fehlte, war nur eins von vielen Problemen.
Lynch zwang sich zu einem Lächeln und stand auf, womit er Trent und Burdette bedeutete, dass die Besprechung vorbei war.
Trent konnte es kaum erwarten, endlich Lynchs Büro zu verlassen. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, musste sich überlegen, wie er Shay begegnen sollte. Würde sie sich an seinen Namen erinnern? Sie hatten sich nie persönlich kennengelernt, aber es war durchaus möglich, dass Jules von ihm gesprochen hatte.
Und zwar bestimmt nicht gerade freundlich. Ihre Trennung war alles andere als einvernehmlich verlaufen.
Großartig.
Einfach verdammt großartig.
Die Anwesenheit von Shaylee Stillman würde seine Ermittlungen verkomplizieren, und das konnte er gar nicht gebrauchen. Er verließ das Verwaltungsgebäude und eilte im Laufschritt zur Sporthalle und in sein Büro, das sich hinter den Umkleiden befand. Dort angekommen, warf er Shaylees Akte auf den Schreibtisch und schlug sie auf. Von einem Foto starrte ihm Jules’ kleine Schwester entgegen. Er nahm an, dass es sich um eine ungestellte Aufnahme handelte: Die Augen des Mädchens funkelten vor Rebellion, Zorn und Argwohn.
Nach einem raschen Blick auf die Uhr blätterte er die Unterlagen durch, wohl wissend, dass Shaylee Stillman seine Deckung auffliegen lassen und alles ruinieren könnte.
Jules saß am Schreibtisch vor ihrem Computer, hörte mit halbem Ohr Radio und klickte sich durch die Informationen, die sie im Internet über die Blue Rock Academy fand. Seit Edie verkündet hatte, sie werde Shaylee nach Oregon bringen lassen, war Jules wie besessen von dem Verlangen, alles über die Schule in Erfahrung zu bringen.
Im Radio lief jetzt Werbung. Eine Frau, die am Ende ihrer Geduld zu sein schien, verkündete mit ernster Stimme: »Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte, war mit meiner
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