S - Spur Der Angst
fragte Jules von dem Klappstuhl aus, auf den sie sich hatte setzen müssen, die wimmernde Nell an der einen, die kampflustige Shay an der anderen Seite neben sich. Eric und Missy hatten sie eine enge Steintreppe hinuntergezwungen, und nun hockten sie in einem kleinen, unterirdischen Raum – vermutlich der Atomschutzbunker aus den Fünfzigern, von dem Charla King gesprochen hatte. Offenbar war er vor nicht allzu langer Zeit mit einem hochmodernen Sicherheitssystem und einem eigenen Generator ausgestattet worden und diente nun als eine Art Untergrundkapelle mit Altar und Kirchenbänken. Doch mehr als das: Es gab auch einen vom Fußboden bis zur Decke reichenden, üppig ausgestatteten Waffenschrank, dazu Munition, Nachtsichtgeräte und Gott weiß was. Auf alle Fälle genug Feuerkraft, um eine ganze Geheimarmee damit auszurüsten. Es war beängstigend hier unten, und ebenso beängstigend waren die Kids, die drohend mit ihren Waffen herumfuchtelten.
»Das müssen Sie nicht wissen«, sagte Missy mit ihrer durchdringenden Stimme und begutachtete lässig ihre Fingernägel, während sie mit Trents Pistole auf ihre drei Gefangenen zielte. Sie schien sich in ihrer Rolle als Gefängniswärterin sehr wohl zu fühlen. »Der Anführer hat alles genau durchdacht. Einfach perfekt.«
»Euer Anführer ist ein Mörder«, wandte Jules ein.
»Nein, sagen Sie das nicht!« Nell schüttelte den Kopf und stammelte mit vor Angst weit aufgerissenen Augen: »Ich bin mir sicher … ich bin mir sicher, er ist ein großartiger Mann.«
Shay schnaubte ungläubig. »Ein großartiger Mann? Jetzt komm mal auf den Boden! Drei Leute sind tot, vielleicht vier, wenn man Lauren mitzählt. Der Kerl ist alles andere als ›ein großartiger Mann‹.«
»Opfer gibt es immer«, sagte Missy unbekümmert.
»Wieso vier?«, fragte Nell panisch und schluckte. »Ich dachte, bloß Drew und Nona …«
»Und Maeve«, teilte Jules ihr mit. »Wir haben ihren Leichnam heute Nacht im Pferdestall gefunden.«
»Maeve auch?«, kreischte Nell entsetzt und fing an zu zittern. Tränen liefen ihr über die Wangen. »O nein, o nein, o nein!«
»Wen kümmert’s?«, fragte Missy gleichgültig. »Wir führen nur aus, was er uns aufträgt.«
»Ohne es zu hinterfragen? Sogar Mord?« Jules versuchte, zu den Jugendlichen durchzudringen. »Ihr nehmt unschuldigen Menschen das Leben, einfach so, weil er es sagt?«
»Es ist Gottes Wille«, beharrte Missy. »Außerdem weiß ich nichts von irgendwelchen Morden.«
»Es werden noch mehr werden«, prophezeite Eric mit einem teuflischen Grinsen, um Jules daran zu erinnern, dass er sie in seiner Gewalt hatte. Er schien es zu genießen, dass er mit ihnen tun konnte, was er wollte, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen.
Nell wimmerte wieder.
Eric liebte es, das arme Mädchen einzuschüchtern. »Wenn du mich fragst«, sagte er verschlagen, »sind wir ihm einiges schuldig, wir könnten ihm gleich noch ein paar mehr Opfer liefern.«
»Halt die Klappe«, befahl Missy.
Eric blickte sie verächtlich an. »Sie wollen es wissen, also sollen sie’s auch erfahren.« An Jules gewandt, ergänzte er: »Ich habe ihm gesagt, er solle auch Howell beseitigen, aber er hatte Nachsicht mit ihr.«
Maris Howell, die Lehrerin, die Jules ersetzt hatte?
»Sie hat herumgeschnüffelt, genau wie Lauren, und er hat sie davonkommen lassen. Was echt dämlich war.« Eric blähte die Nasenlöcher und schloss die Finger um seine Pistole. »Ich hätte sie ausgeschaltet und damit das Problem ein für alle Mal gelöst.«
»Maris Howell?«, fragte Jules nach. »Wegen ihrer Affäre mit Ethan Slade?«
Wieder tauschten Missy und Eric Blicke. Ihr Grinsen sagte alles. »Was für eine Affäre?«, fragte Eric schließlich und lachte rauh, ein grauenvolles Geräusch in dem kleinen, abgeschiedenen Raum. Auch Missy kicherte schrill.
»Man hat sie doch mit Ethan Slade erwischt«, stieß Jules hervor und versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging.
»Das war eine Falle.« Rolfe genoss es, klüger zu sein als andere. »Weil sie spioniert hat, ist dem Anführer die Idee gekommen, sie auf diese Weise von der Schule zu verbannen. Ethan hat sich bei ihr lieb Kind gemacht und sich an ihrer Schulter ausgeweint, damit sie sich um ihn kümmerte.« Eric verzog das Gesicht und rieb sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. »Buhu! Sie hat’s ihm abgekauft. Hat ihn getröstet. Ihn umarmt. Wir haben Fotos gemacht. Als sie kurz rausgegangen ist, hat er sich das Hemd
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