S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
in den Flur der Wohnung, direkt zu der großen, dunklen Holzkommode, die noch von der Vormieterin stammte. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wie diese Kommode gebaut war. Wahrscheinlich handelte es sich um einen dieser alten Wäscheschränke mit mehreren tiefen Schubladen. Unten hatte dieser Schrank – eigentlich war es doch eher eine Kommode, das Ding reichte uns nur bis zu den Schultern – zwei (vielleicht auch drei) Schubladen und ganz oben eine kleine, flache. Diese öffnete Olaf. In der Schublade lagen säuberlich zusammengefaltet unterschiedliche Stofftaschentücher, größtenteils weiß mit Karomuster, einige auch hellblau, insgesamt vielleicht zehn oder fünfzehn Stück.
Olaf sagte, ich solle mir eines der Taschentücher aussuchen, es herausnehmen und auseinander falten. Ich griff mir ein rot kariertes mit Spitzenbesatz. Dann sollte ich es auf den Boden fallen lassen. Obwohl mir die Sache mittlerweile albern vorkam, tat ich, was Olaf mir sagte. Das Taschentuch segelte zu Boden und blieb ausgebreitet auf den abgewetzten Dielen des Flurs liegen. Jetzt, so erklärte mir Olaf, müssten wir einfach zurück ins Wohnzimmer gehen und warten. Er machte das Licht im Flur aus, wir gingen zurück ins Zimmer und Olaf schloss die Tür. Dann saßen wir einige Minuten – wie lange genau, das kann ich nicht mehr sagen – nebeneinander auf dem Sofa. Natürlich fragte ich Olaf, was das alles soll. Er meinte nur, ich soll still sein.
Irgendwann war die Frist vergangen, die Olaf für angemessen hielt. Er stand auf, öffnete die Zimmertür, machte Licht im Flur und wir gingen zur Kommode. Im Grunde hätte ich mir ja denken können, worauf das alles hinaus lief. Trotzdem war ich überrascht, das zu sehen, was ich sah. Beziehungsweise ich war überrascht, das nicht zu sehen, was ich eigentlich hätte sehen müssen. Das Stofftaschentuch war verschwunden. Olaf grinste mich an. Dann öffnete er die kleine Schublade und da lag das Taschentuch, fein säuberlich zusammengefaltet, genau wie zuvor, auch an der gleichen Stelle in der Schublade, das gleiche Taschentuch. Immer noch grinste Olaf, er freute sich über meine Ratlosigkeit. Ich weiß nicht mehr, was ich beim Anblick des Taschentuchs sagte, ob ich überhaupt etwas sagte.
Ein paar Minuten später saßen wir wieder auf der Couch und Olaf erklärte mir, er habe diese Entdeckung vor etwa einer Woche gemacht. Wenn man ein Taschentuch auf den Boden werfe, dann sei es nach ein paar Minuten wieder an seinem Platz. Bestimmt zehn Mal habe er es schon ausprobiert und nur zwei Mal sei das Taschentuch auf dem Boden liegen geblieben. Da habe er es dann selbst zurück getan.
Ich wurde misstrauisch und warf meinem Freund vor, er würde mich reinlegen. Das Taschentuch könne nicht einfach von allein zurück in die Schublade wandern. Es müsse also noch irgendjemand in der Wohnung sein. Ich überlegte schon, welcher unserer Klassenkameraden an der Aktion beteiligt sein könnte. Sicher sollte ich reingelegt werden.
Olaf bot mir an, alle Zimmer auf Komplizen zu durchsuchen und das tat ich dann auch. Die Wohnung hatte das Wohnzimmer, den Flur, ein kleines Bad, ein Kinderzimmer und das Schlafzimmer. Wir gingen in jeden Raum, machten Licht und ich durfte mich umsehen. Zum Glück blieb Olaf immer in meiner Nähe, alleine hätte ich Angst gehabt in der fremden Wohnung. Heute, im Nachhinein, wünschte ich, ich hätte auch in die Schränke, hinter die Gardinen und unter die Betten geschaut. Dann könnte ich völlig sicher sein, dass außer uns beiden niemand in der Wohnung war. So bleibt ein Zweifel.
Nach unserer Wohnungserkundung gingen wir wieder ins Wohnzimmer, setzten uns auf die Couch, schwiegen, starrten ins Leere und aßen Erdnussflips. Natürlich wollte ich locker wirken, ganz entspannt. Aber ich war verwirrt und ich war wütend, wütend auf Olaf, der es ganz offensichtlich genoss, mir etwas gezeigt zu haben, das ich nicht verstand. Irgendwann fragte ich ihn, ob das mit dem Taschentuch auch mehrmals hintereinander klappen würde. Olaf sagte ja, das würde klappen. Und so wiederholten wir das Ganze. Diesmal war er es, der ein Taschentuch – ein anderes als beim ersten Mal – aus der Schublade nahm und auf den Boden fallen ließ. Wenn man im Flur bliebe, dann würde nichts passieren, erklärte mir Olaf. Also gingen wir wieder ins Wohnzimmer und warteten einige Minuten. Ich lauschte angestrengt, es hätten ja irgendwelche Geräusche aus dem Flur kommen können. Aber in der
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