Sabihas Lied
Lächelnd zog er an der Zigarette. »Ich weiÃ, dass du nie die Hoffnung aufgegeben hast, dieses Kind doch noch zu bekommen. Allen Fehlschlägen zum Trotz. Ich weià das. Du musst mir nichts erklären.« Er setzte sich wieder zu ihr und schloss sie in die Arme. »Das ist dein Kind, mein Herz. Es gehört dir.« Leise fügte er hinzu: »Bruno.«
Sie weinte.
Lange saÃen sie schweigend da, Sabiha weinte lautlos, John wiegte sie zärtlich. »Wenn es ein Mädchen wird, nennen wir sie Houria«, sagte er schlieÃlich.
Sabiha schluchzte erstickt auf.
Aus lauter Müdigkeit wurde ihm schwarz vor Augen. Er versuchte, sich die Einzelheiten wieder in Erinnerung zu rufen. Was hatte er der Polizei erzählt? Ein friedlicher Samstagabend im Café, Sabiha singt ihre Lieder, Nejib begleitet sie auf dem Oud, die Gäste lauschen still und andächtig und verzückt. Und dann, von einem Moment auf den anderen, ist das Café leer und Bruno liegt tot auf dem Boden. Als die Polizisten ihn befragten, wurde John zusehends verwirrter und verwickelte sich in Widersprüche. Er hatte das Gefühl gehabt, dass sie ihm nicht glaubten, und das brachte ihn gegen sie auf. Sie hatten ihn argwöhnisch und grob behandelt und stundenlang warten lassen, hatten ihn immer wieder aus dem Zimmer geschickt und später wieder hereingerufen. Die ständigen Wartezeiten im Flur und die immer neuen Befragungen hatten ihn restlos erschöpft.
»Wir sollten ein bisschen schlafen«, sagte er, schlug die Tagesdecke zurück, zog Sabiha die blaue Decke von den Schultern und half ihr, sich ins Bett zu legen. Dann gab er ihr einen Kuss.
Sabiha sah zu ihm auf.
Er legte ihr seinen Finger auf die Lippen. »Sei still. Ich geh jetzt auch ins Bett. Es ist nun mal passiert. Und wir müssen dringend ein bisschen schlafen.« Er zog die Vorhänge zu, um das Tageslicht auszublenden. »Das Café ist erledigt«, sagte er. »Von den Männern kommt garantiert keiner zurück. Ich weià ja nicht mal, ob die Polizei uns erlauben wird, es wieder zu öffnen. Ich war nicht gerade sehr entgegenkommend. Darum werden wir Sonja am Montag auch nicht brauchen. Ich sollte sie lieber anrufen. Was ist heute für ein Tag?« Er überlegte angestrengt. »Sonntag. Ich rufe sie nachher zu Hause an. Kaum zu fassen, dass Bruno tot ist. Ich kann es einfach nicht glauben.« John dachte an Angela und die elf Kinder und an das, was sie in dieser Nacht durchmachen mussten.
Er zog sich aus und schlüpfte zu Sabiha ins Bett. Er drückte sie an sich. »Wenn du aus El Djem zurückkommst, fahren wir zu mir nach Australien. Hier bleibt uns nichts mehr. Wir werden wieder bei null anfangen.« Mit einem Kuss fuhr er fort: »Keine Sorge, Bruno vergessen wir nicht. Wir werden ihn auf die eine oder andere Weise in Erinnerung behalten.«
DrauÃen schlug eine Autotür zu, dann startete ein Motor. Die StraÃe wachte allmählich auf. Man hörte das traurige Jaulen, mit dem Tolstoi den neuen Tag begrüÃte â ein Tier, das aus seinen Träumen aufwacht und feststellen muss, dass es ganz allein in der verschneiten Steppe seiner Ahnen zurückgeblieben ist.
»Ich habe dir auch ein paar Dinge verheimlicht«, nahm John den Faden wieder auf. »Natürlich nichts Vergleichbares, ich kann diese Dinge nicht einmal richtig benennen. Es geht wohl um mich. Meine Wünsche, meine Ziele. Vielleicht werde ich alles klarer sehen, wenn wir in Australien sind. Ich denke, Selbsterkenntnis fällt einem zu Hause leichter.« Trotz seiner Erschöpfung war ihm nicht mehr nach Schlafen zumute. Nach sechzehn Jahren in Frankreich würde er nach Australien zurückkehren, ohne irgendetwas erreicht zu haben. Was hatte er getan? Seine Gedanken rasten.
»Was gibt es Sinnloseres als Männer, die sich schlagen?«, überlegte er laut. »Für die Polizei ist das alltäglich.« Er hielt inne, horchte auf die StraÃengeräusche. »Ich wollte gern Vater sein«, fuhr er fort. Er war sicher, dass es ihm nichts ausmachen würde, das Kind nicht selbst gezeugt zu haben, er würde eben zum Vater des Kindes werden . Er würde für beide sorgen, für Sabiha und das Kind. Und er würde einen Weg finden, Brunos Andenken in Ehren zu halten, ihrem Kind zuliebe. Das musste unbedingt sein. Eines Tages würde er dem Kind von seinem wirklichen Vater erzählen. John drückte Sabiha an
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