SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
staatliche Intervention im Wirtschaftsleben tut not. DDR? Man sollte lieber noch weiter nach Osten gucken. »Hier glaubt niemand, dass industrielle Entwicklung automatisch funktioniert«, hat Kishore Mahbubani, der westkritische Politikwissenschaftler aus Singapur, der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« gesagt: »Der Staat wird gebraucht.«
Er wird für so vieles gebraucht. Um jemanden wie Anton Schlecker davon abzuhalten, seine Firma ins Verderben zu stürzen, ohne dass irgendjemand davon Wind bekommt – das würde dem Schutz der Menschen und ihren Arbeitsplätzen dienen. Oder dafür, bestimmte gesellschaftspolitische Ziele durchzusetzen. Wie zum Beispiel die Energiewende. Ein durch und durch vernünftiges wirtschafts-, umwelt- und industriepolitisches Ziel und ein weiteres Beispiel für das Fehlen und Versagen staatlicher Ordnungspolitik. Schluss mit der Atomkraft, die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Ein gewaltiger Umbau, der das Land im Ganzen erfassen wird. Wie soll das ohne die lenkende Hand des Staates gehen? Gar nicht. Der Energiekonzern EnBW teilte im Herbst 2012 mit, dass er das Projekt einer geplanten Windkraftanlage in der Nordsee erst einmal auf Eis legen werde. Ein Sprecher sagte, der Konzern brauche gesetzgeberische Klarheit, bevor er 1,5 Milliarden Euro investiere. Die fehlt aber.
Der Ausbau der Offshore-Windparks verlief viel langsamer, als es möglich gewesen wäre. Bis Ende 2012 war überhaupt nur ein einziger wirklich in Betrieb, 29 waren genehmigt, Anträge für weitere 97 wurden bearbeitet. Da reden wir von gewaltigen Investitionen. Es ist keine Kleinigkeit, Dutzende von riesigen Mühlen weit draußen im Meer aufzustellen. So ein Windpark kostet alles Mögliche: zwischen 500 Millionen oder einer Milliarde Euro. Man kann sich denken, dass die Leute, die solche Summen zusammenbringen, den Strom dann auch gerne verkaufen wollen. Dafür muss er an Land gebracht werden. Durch Kabel. Und die müssen erst mal verlegt werden, viele Kilometer unter dem Meer. Auch das kostet ein Vermögen.
Das Problem ist aber, dass die Windräder von der einen Firma gebaut werden, für die Kabel aber eine andere zuständig ist. Die deutschen Konzerne haben diese Aufgabe einem holländischen Unternehmen überlassen, und dieses Unternehmen hat sich der Aufgabe nicht mit der ganzen Entschlossenheit gewidmet, die sich die deutschen Energiepolitiker gewünscht haben – soweit sie überhaupt ein echtes Interesse am Ausstieg aus der Kernenergie hatten. Ohne Trassen laufen die Windräder leer. Die Windparkbauer sagen also, ohne einen garantierten Anschluss können wir nicht finanzieren. Aber der Netzbetreiber sagt, ohne eine garantierte Finanzierung wollen wir keinen Anschluss zur Verfügung stellen.
Das ist eine klassische Situation für die regulierende Hand des Staates. Eigentlich könnten die Firmen das Problem lösen. Sie müssten kooperieren und Konsortien bilden. Wenn die Wirklichkeit wie das Lehrbuch der Ökonomen geschrieben wäre, würden sie ihr spieltheoretisches Dilemma überwinden, aus eigenem Gewinninteresse. Sie tun es aber nicht. Aus Angst, Misstrauen, Trägheit. Hier ist der Staat gefordert. Er muss Ziele setzen, Planungen erstellen, Regeln schaffen, Garantien geben. Das hat der Staat in Deutschland lange versäumt. Erst im Jahr 2012, als die Energiewende wirklich ein Thema in der öffentlichen Debatte wurde, hat sich das geändert. Da wurde die Regierung tätig. Aber wie? Sie beschloss eine Entschädigung für die Betreiber von Windparks, die ihren Strom nicht an Land bekommen. Und die soll zum großen Teil von den Verbrauchern getragen werden, über die Stromrechnung. Das ist von allen denkbaren Lösungen die schlechteste. Aber das ist typisch für staatliches Versagen in der Regulierung: Erst soll es der Markt richten, wenn das nicht geschieht, hat man Angst, es sich mit der Industrie zu verscherzen, und wälzt die entstehenden Lasten auf die Bürger ab. Das ist das genaue Gegenteil einer weitsichtigen, konsistenten Industriepolitik. Das Ergebnis hat weder etwas mit Marktwirtschaft zu tun noch mit Planwirtschaft. Es ist einfach Klientelpolitik. Hinter der Rhetorik der freien Märkte verbirgt sich eine vom Lobbyismus gesteuerte oligarchische Politik im Dienst der Konzerne.
Gegenüber diesen Konzernen hat sich der Staat im Lauf der vergangenen 30 Jahre selbst entmachtet. Eine unwahrscheinliche Entwicklung, weil man meinen sollte, dass Institutionen und Bürokratien ebenso wie
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