SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
arabischer Milieus in Berlin hinzuweisen, ging die ganze Szene der deutschen Berufsempörer auf die Barrikaden, um ihm zu signalisieren: Solche Deutlichkeiten sind unerwünscht. Man möchte meinen, die deutsche Meinungs-Besitzer-Szene habe sich in einen Käfig voller Feiglinge verwandelt, die gegen jede Abweichung von den Käfigstandards keifen und hetzen.«
Man sieht schon: Sloterdijk schlüpfte sozusagen bei Sarrazin unter. Und beide warfen sich in die Positur der Rächer einer zu Unrecht unterdrückten Wahrheit. Das ist ein Anspruch, in dem man sich gemütlich einrichten kann. Tabus zerbrechen, die niemand aufgestellt hat, wie Sarrazin es mit seiner Migrantenhetze tat, Gedankenfreiheit einfordern, die niemand beschnitten hat, wie Sloterdijk es mit seiner Hymne auf die Leistenden ausprobierte. Das ist unter den Bedingungen des deutschen Diskurses eine ganz absurde Positur, wie wir später näher ausführen werden.
Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« wurde zur erschütternden Bewahrheitung der Prophezeiung des Soziologen Oskar Negt: »Im Inneren dieser Gesellschaft brodelt es, mit Ausbrüchen ist zu rechnen, in der Abwendung vom System entstehen politische Schwarzmarktphantasien.« Sarrazins Buch war so eine Phantasie, ein Zeichen dafür, dass die Wut der Habenden nicht weniger real ist als das Murren der Bedürftigen. Eine Warnung dafür, dass der Weg der Verachtung für unsere Demokratie bereits beschritten wird, dass die subjektive Orientierung breiter werdender Schichten und das öffentliche System staatlicher Institutionen mehr und mehr auseinanderdriften. Vorboten einer gebrochenen Gesellschaftsordnung, in der das Gefüge der Institutionen außen intakt erscheint, im Inneren aber schon ausgehöhlt ist.
Sarrazins Buch verkaufte sich über 1,5 Millionen Mal. Unter den Sachbüchern gehört es in Deutschland zu den erfolgreichsten überhaupt. Er schrieb das Buch in seiner Zeit als Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Weil er unterbeschäftigt war. Jedenfalls erzählte er das so im Februar 2011: »Als Bundesbanker war die Arbeit der Woche nach eineinhalb Tagen dienstagmittags getan. Am Montag gibt man Anweisungen und bereitet sich ein bisschen vor, am Dienstagvormittag diskutiert man intelligent in der Vorstandssitzung mit und am Dienstagnachmittag fragt man sich, was man den Rest der Woche tun soll.« Sarrazin verdiente in dieser Zeit auf ein Jahr hochgerechnet gut 200.000 Euro. Da muss man an einen Satz aus seinem Buch denken: »Umgekehrt verursachen migrantische Gruppen mit unterdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung und überdurchschnittlicher Transferabhängigkeit fiskalisch mehr Kosten als Nutzen.«
Das Buch war einerseits ein wüster Zahlen- und Argumentationssalat. Und andererseits ein schlimmes rassistisches Machwerk. Denn am Ende lief es bei Sarrazin darauf hinaus, dass die Migranten zu wenig leisten und zu viele Kinder bekommen. Sarrazin redete in seinem Buch manchmal schlicht Unsinn, zum Beispiel wenn es um die Extrapolation der Bevölkerungsentwicklung ging: »... beim gegenwärtigen demographischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch 3 Millionen Einwohner haben.« Niemand, der sich ernsthaft mit Demographie beschäftigt, würde auf die Idee kommen, solche Zeitreihen aufzustellen. Meistens aber trug er einfach sein rassistisches, spießbürgerlich-engstirniges Weltbild zur Schau: »Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird. Wenn ich das erleben will, kann ich eine Urlaubsreise ins Morgenland buchen.«
Seine Behauptungen und Thesen, die sich oft genug in der Grauzone zwischen Fabel, Fakten und Fehlern bewegten, wurden von den Fachleuten zerpflückt. Vor allem die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan war wortmächtig und wirksam in der Anti-Sarrazin-Exegese. Erschreckend war jedoch, wer Sarrazin bereitwillig ein Forum zur Verfügung stellte. »Spiegel« und »Bild« veröffentlichten Vorabdrucke des Buches. Und selbst als auch dem letzten Provokationsfreund schon jeder frivole Spaß angesichts des kruden Rassismus der Sarrazinschen Thesen hätte vergehen müssen, machte ihm die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« noch eine ganze Seite frei, passenderweise zu Weihnachten.
Aber das war kein
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