Sämtliche Dramen
vorbei!
Anhaltendes Ungewitter.
Lear
. Nun, dir wäre besser in deinem Grabe, als so mit unbedecktem Leib dieser Wut der Lüfte begegnen. Ist der Mensch nicht mehr als das? – Betracht’ ihn recht! Du bist dem Wurm keine Seide schuldig, dem Tier kein Fell, dem Schaf keine Wolle, der Katze keinen Bisam. Ha, drei von uns sind überkünstelt: du bist das Ding selbst; der natürliche Mensch ist nichts mehr, als solch ein armes, nacktes, zweizinkiges Tier wie du. Fort, fort, ihr Zutaten! – Kommt, knöpft mich auf!
Er reißt sich die Kleider ab.
Narr
. Ich bitt’ dich, Gevatter, laß gut sein; das ist eine garstige Nacht zum Schwimmen. Jetzt wär’ ein kleines Feuer auf einer wüsten Heide wie eines alten Buhlers Herz; ein kleiner Funke, und der ganze übrige Körper kalt. Seht, hier kommt ein wandelndes Feuer. –
Edgar
. Das ist der böse Feind Flibbertigibbet; er kommt mit der Abendglocke und geht um bis zum ersten Hahnenschrei; er bringt den Star und den Schwind, macht das Auge schielend und schickt Hasenscharten, verschrumpft den weißen Weizen und quält die arme Kreatur auf Erden:
Sankt Withold ins Feld dreimal wollt’ schreiten:
Kommt die Nachtmähr’ und ihre neun Füllen von weitem;
Da dräut er gleich:
Entweich’! Entweich’!
Und trolle dich, Alp, und troll’ dich!
Kent
.
Wie geht’s, mein König?
Gloster kommt mit einer Fackel.
Lear
.
Wer ist der?
Kent
.
Wer da? Wenn sucht Ihr?
Gloster
.
Wer seid ihr? Eure Namen? –
Edgar
. Der arme Thoms, der den schwimmenden Frosch ißt, die Kröte, die Unke, den Kellermolch und den Wassermolch; der in der Wut seines Herzens, wenn der böse Feind tobt, Kuhmist für Salat ißt, die alte Ratte verschlingt und den toten Hund; den grünen Mantel des stehenden Pfuhls trinkt; gepeitscht wird von Kirchspiel zu Kirchspiel und in die Eisen gesteckt, gestäupt und eingekerkert; der drei Kleider hatte für seinen Rücken, sechs Hemden für seinen Leib,
zum Reiten ein Pferd, zum Tragen ein Schwert: –
Doch Mäus’ und Ratten und solch Getier
Aß Thoms sieben Jahr lang für und für.
Hütet euch vor meinem Verfolger! Still, Smolkin, still, du böser Feind! –
Gloster
.
Wie, gnäd’ger Herr! Nicht bessere Gesellschaft?
Edgar
.
Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann,
Modo heißt er und Mahu.
Gloster
.
Ach, unser Fleisch und Blut, Herr, ward so schlecht,
Daß es die haßt, die es erzeugt. –
Edgar
.
Thoms friert! –
Gloster
.
Kommt mit mir, meine Treu’ erträgt es nicht,
Zu folgen Eurer Töchter hartem Willen;
Befahlen sie mir gleich, die Tür zu schließen,
Euch preis zu geben der tyrann’schen Nacht:
Doch hab’ ich’s drauf gewagt, Euch auszuspähn,
Und führ’ Euch hin, wo Mahl bereit und Feuer.
Lear
.
Erst red’ ich noch mit diesem Philosophen:
Woher entsteht der Donner?
Kent
.
Mein teurer Herr! Nehmt seinen Vorschlag an,
Geht in das Haus!
Lear
.
Ein Wort mit diesem kundigen Thebaner: –
Was ist dein Studium?
Edgar
.
Den Teufel fliehn und Ungeziefer töten.
Lear
.
Ein Wort mit Euch noch insgeheim!
Kent
.
Drängt ihn noch einmal, mitzugehn, Mylord!
Das Ungewitter dauert fort.
Sein Geist beginnt zu schwärmen.
Gloster
.
Kannst du’s tadeln?
Die Töchter suchen seinen Tod. Das sagt’st du
Voraus, du guter Kent! Du armer Flüchtling!
Du fürcht’st, der König wird verrückt; glaub’ mir,
Fast bin ich’s selber auch: ich hatt’ ’nen Sohn,
Verstoßen jetzt, er stand mir nach dem Leben
Erst neulich, eben jetzt: – ich liebt’ ihn, Freund,
Mehr liebt’ kein Vater je; ich sage dir,
Der Gram zerstört den Geist mir. Welche Nacht! –
Ich bitt’ Eu’r Hoheit –
Lear
.
Oh, verzeiht;
Mein edler Philosoph, begleitet uns!
Edgar
.
Thoms friert.
Gloster
.
Hinein, Bursch, in die Hütte, halt’ dich warm!
Lear
.
Kommt all hinein!
Kent
.
Hierher, Mylord!
Lear
.
Mit ihm;
Ich bleibe noch mit meinem Philosophen.
Kent
.
Willfahrt ihm, Herr, gebt ihm den Burschen mit!
Gloster
.
So nehmt ihn mit!
Kent
.
Du folg’ uns! Komm mit uns!
Lear
.
Komm, mein Athener!
Gloster
.
Nicht viel Worte, still! –
Edgar
.
Herr Roland kam zum finstern Thurn,
Sein Wort war stets: »Seid auf der Hut,
Ich wittr’, ich wittre Britenblut.« –
Sie gehn alle ab.
¶
Fünfte Szene
Glosters Schloß.
Es treten auf Cornwall und Edmund.
Cornwall
. Ich will Rache an ihm, eh’ ich sein Haus verlasse.
Edmund
. Mylord, wie man mich tadeln wird, daß ich so die Natur meinem Diensteifer geopfert,
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