Sämtliche Dramen
bleibt, was hier wühlt – Undank des Kindes!
Als ob der Mund zerfleischte diese Hand,
Weil sie ihm Nahrung bot! Schwer will ich strafen! –
Nicht will ich weinen mehr. In solcher Nacht
Mich auszusperrn! Gieß fort; ich will’s erdulden. –
In solcher Nacht, wie die! O Regan, Gon’ril! –
Euren alten, guten Vater, des freies Herz
Euch alles gab, – oh, auf dem Weg liegt Wahnsinn! –
Nein, dahin darf ich nicht: nichts mehr davon!
Kent
.
Mein guter König, geht hinein!
Lear
.
Bitt’ dich, geh du hinein, sorg’ für dich selbst!
Der Sturm erlaubt nicht, Dingen nachzusinnen,
Die mehr mich schmerzen. Doch ich geh’ hinein,
Geh, Bursch, voran! – Du Armut ohne Dach, –
Nun, geh doch! Ich will beten und dann schlafen.
Der Narr geht in die Hütte.
Ihr armen Nackten, wo ihr immer seid,
Die ihr des tück’schen Wetters Schläge duldet,
Wie soll eu’r schirmlos Haupt, hungernder Leib,
Der Lumpen offne Blöß’ euch Schutz verleihn
Vor Stürmen, so wie der? Oh, daran dacht’ ich
Zu wenig sonst! – Nimm Arzenei, o Pomp!
Gib preis dich, fühl’ einmal, was Armut fühlt,
Daß du hinschütt’st für sie dein Überflüss’ges
Und rettest die Gerechtigkeit des Himmels!
Edgar
drinnen.
Anderthalb Klafter! Anderthalb Klafter!
ArmerThoms!
Narr
indem er aus der Hütte läuft. Geh nicht hinein, Gevatter! Hier ist ein Geist! Hülfe! Hülfe!
Kent
.
Gib mir die Hand! – Wer ist da?
Narr
.
Ein Geist, ein Geist! Er sagt, er heiße armer Thoms.
Kent
.
Wer bist du, der im Stroh hier murmelt?
Komm heraus! –
Edgar tritt auf als Wahnwitziger.
Edgar
.
Hinweg! Der böse Feind verfolgt mich.
Durch scharfen Hagedorn saust der kalte Wind: Hu! –
Geh in dein kaltes Bett und wärme dich!
Lear
.
Wie? Gabst du alles deinen beiden Töchtern?
Und kamst du so herunter?
Edgar
. Wer gibt dem armen Thoms was? – den der böse Feind durch Feuer und durch Flammen geführt hat, durch Flut und Strudel, über Moor und Sumpf, der ihm Messer unters Kissen gelegt hat und Schlingen unter seinen Stuhl; der ihm Rattengift in die Suppe tat, der ihm Hoffart eingab, auf einem braunen, trabenden Roß über vier Zoll breite Stege zu reiten und seinem eigenen Schatten, wie einem Verräter, nachzujagen. Gott schütze deine fünf Sinne! Thoms friert. Vor Frost schaudernd. O de de de de de! – Gott schütze dich vor Wirbelwinden, vor bösen Sternen und Seuchen! Gebt dem armen Thoms ein Almosen, den der böse Feind heimsucht: hier könnt’ ich ihn jetzt haben, und hier – und da, – und hier wieder, – und hier. –
Immerwährend Ungewitter.
Lear
.
Was, brachten ihn die Töchter in solch Elend?
Konnt’st du nichts retten? Gabst du alles hin? –
Narr
. Nein, er behielt ein Laken, sonst müßten wir uns alle schämen.
Lear
.
Nun, jede Seuche, die die Luft zur Strafe
Der Sünder herbergt, stürz’ auf deine Töchter!
Kent
.
Herr! Er hat keine Töchter! –
Lear
.
Ha, Tod, Rebell! Nichts beugte die Natur
Zu solcher Schmach, als undankbare Töchter. –
Ist’s Mode jetzt, daß weggejagte Väter
So wüten müssen an dem eignen Fleisch?
Sinnreiche Strafe! Zeugte doch dies Fleisch
Diese Pelikan-Töchter.
Edgar
.
Pillicok saß auf Pillicoks Berg;
Hallo, hallo, hallo!
Narr
. Diese kalte Nacht wird uns alle zu Narren und Tollen machen.
Edgar
. Hüte dich vor dem bösen Feind; gehorch’ deinen Eltern; halte dein Wort; fluche nicht; verführe nicht deines Nächsten verlobte Braut; stelle deine Sache nicht auf eitle Pracht; – Thoms friert! –
Lear
. Was bist du gewesen?
Edgar
. Ein Verliebter, stolz an Herz und Sinn, der sein Haar kräuselte, Handschuh’ an seiner Kappe trug, den Lüsten seiner Gebieterin frönte, und das Werk der Finsternis mit ihr trieb. Ich schwur so viel Eide, als ich Worte redete, und brach sie im holden Angesicht des Himmels; schlief ein in Gedanken der Wollust und erwachte, sie auszuführen; den Wein liebte ich kräftig, die Würfel heftig, und mit den Weibern übertraf ich den Großtürken; falsch von Herz, leicht von Ohr, blutig von Hand; Schwein in Faulheit, Fuchs im Stehlen, Wolf in Gier, Hund in Tollheit, Löwe in Raubsucht. Laß nicht das Knarren der Schuhe, noch das Rascheln der Seide dein armes Herz den Weibern verraten! Halte deinen Fuß fern von Bordellen, deine Hand von Schürzen, deine Feder von Schuldbüchern, und trotze dem bösen Feind! Immer noch durch den Hagdorn saust der kalte Wind; ruft Summ, Mum: – Heinonino, Dauphin, mein Junge, hurra! Laß ihn
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