Sämtliche Dramen
Löwe
Und hungergrimm’ge Wolf gern trocken halten
Ihr Fell, rennt er mit unbedecktem Haupt
Und heißt, was immer will, hinnehmen alles.
Kent
.
Doch wer ist mit ihm?
Ritter
.
Der Narr allein, der wegzuscherzen strebt
Sein herzerschütternd Leid.
Kent
.
Ich kenn’ Euch, Herr,
Und wag’ es, auf die Bürgschaft meiner Kunde,
Euch Wicht’ges zu vertraun. Es trennt ein Zwiespalt –
Wiewohl sie noch den Schein davon verhüllen
In gleicher List – Albanien und Cornwall.
Sie haben – so wie jeder, den sein Stern
Erhob und krönte – Diener, treu zum Schein,
Die heimlich Frankreichs Spione sind und Wächter;
Belehrt von unserm Zustand, allen Händeln
Und Zänkerei’n der Fürsten; von
Dem schweren Joch, das beide auferlegt
Dem alten König; von noch tiefern Dingen,
Wozu vielleicht dies nur ein Vorspiel war: –
Doch ist’s gewiß, von Frankreich kommt ein Heer
In dies zerrißne Reich, das schon, mit Klugheit
Benutzend unsre Säumnis, heimlich fußt
In unsern besten Häfen und alsbald
Sein Banner frei entfaltet. Nun für Euch:
Wagt Ihr’s, so fest zu bauen auf mein Wort,
Daß Ihr nach Dover gleich enteilt, so findet
Ihr jemand, der’s Euch dankt, erzählt Ihr treu,
Welch unnatürlich sinnverwirrend Leid
Des Königs Klage weckt.
Ich bin ein Edelmann von altem Blut,
Und weil ich Euch als zuverlässig kenne,
Vertrau’ ich Euch dies Amt.
Ritter
.
Ich werd’ Euch weiter sprechen.
Kent
.
Nein, das nicht –
Und zur Bestät’gung, ich sei Größres als
Mein äußrer Schein, empfangt die Börs’ und nehmt,
Was sie enthält. Wenn Ihr Cordelien seht –
Und daran zweifelt nicht –, zeigt ihr den Ring,
Und nennen wird sie Euch den Freund, des Namen
Euch jetzt noch unbekannt. Hu, welch ein Sturm! –
Ich will den König suchen.
Ritter
.
Gebt mir die Hand: Habt Ihr nicht mehr zu sagen?
Kent
.
Nicht viel, doch, in der Tat, das Wichtigste:
Dies, wenn den König wir gefunden – Ihr
Geht diesen Weg, ich jenen –, wer zuerst
Ihn antrifft, ruf’s dem andern zu.
Sie gehn nach verschiedenen Seiten ab.
¶
Zweite Szene
Eine andere Gegend auf der Heide.
Fortdauernd Ungewitter. Es treten auf Lear und der Narr.
Lear
.
Blast, Wind’, und sprengt die Backen! Wütet, Blast! –
Ihr Katarakt’ und Wolkenbrüche, speit,
Bis ihr die Türm’ ersäuft, die Hähn’ ertränkt!
Ihr schweflichten, gedankenschnellen Blitze,
Vortrab dem Donnerkeil, der Eichen spaltet,
Versengt mein weißes Haupt! Du Donner schmetternd,
Schlag’ flach das mächt’ge Rund der Welt; zerbrich
Die Formen der Natur, vernicht’ auf eins
Den Schöpfungskeim des undankbaren Menschen!
Narr
. Ach, Gevatter, Hofweihwasser in einem trocknen Hause ist besser, als dies Regenwasser draußen. Lieber Gevatter, hinein und bitt’ um deiner Töchter Segen: das ist ’ne Nacht, die sich weder des Weisen noch des Toren erbarmt.
Lear
.
Rassle nach Herzenslust! Spei’, Feuer! Flute, Regen!
Nicht Regen, Wind, Blitz, Donner sind meine Töchter:
Euch schelt’ ich grausam nicht, ihr Elemente:
Euch gab ich Kronen nicht, nannt’ euch nicht Kinder,
Euch bindet kein Gehorsam; darum büßt
Die grause Lust: Hier steh’ ich, euer Sklav’,
Ein alter Mann, arm, elend, siech, verachtet:
Und dennoch knecht’sche Helfer nenn’ ich euch,
Die ihr im Bund mit zwei verruchten Töchtern
Türmt eure hohen Schlachtreih’n auf ein Haupt
So alt und weiß als dies. Oh, oh, ’s ist schändlich! –
Narr
. Wer ein Haus hat, seinen Kopf hineinzustecken, der hat einen guten Kopflatz.
Wenn Hosenlatz will hausen,
Eh’ Kopf ein Dach geschafft,
Wird Kopf und Latz verlausen,
Solch Frein ist bettelhaft.
Und willst du deinen Zeh’,
Du Tropf, zum Herzen machen,
Schreist übern Leichdorn weh,
Statt schlafen wirst du wachen.
– denn noch nie gab’s ein hübsches Kind, das nicht Gesichter vorm Spiegel schnitt.
Kent tritt auf.
Lear
.
Nein! Ich will sein ein Muster aller Langmut,
Ich will nichts sagen.
Kent
.
Wer da?
Narr
.
Nun, hier ist Gnade und ein Hosenlatz; das heißt: ein
Weiser und ein Narr.
Kent
.
Ach, seid Ihr hier, Mylord? Was sonst die Nacht liebt,
Liebt solche Nacht doch nicht: – des Himmels Zorn
Scheucht selbst die Wanderer der Finsternis
In ihre Höhlen. Seit ich ward zum Mann,
Erlebt’ ich nimmer solchen Feuerguß,
Solch Krachen grausen Donners, solch Geheul
Des brüll’nden Regensturms: kein menschlich Wesen
Erträgt solch Leid und Grau’n. –
Lear
.
Jetzt, große Götter,
Die
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