Sämtliche Dramen
– Oh, wie schnell
Drängt Unheil sich in der Verzweiflung Rat!
Mir fällt ein Apotheker ein; er wohnt
Hier irgendwo herum. – Ich sah ihn neulich,
Zerlumpt, die Augenbraunen überhangend;
Er suchte Kräuter aus; hohl war sein Blick,
Ihn hatte herbes Elend ausgemergelt;
Ein Schildpatt hing in seinem dürft’gen Laden,
Ein ausgestopftes Krokodil und Häute
Von mißgestalten Fischen: auf dem Sims
Ein bettelhafter Prunk von leeren Büchsen
Und grüne Töpfe, Blasen, müff’ger Samen,
Bindfadenendchen, alte Rosenkuchen,
Das alles dünn verteilt, zur Schau zu dienen.
Betrachtend diesen Mangel, sagt’ ich mir:
Bedürfte jemand Gift hier, des Verkauf
In Mantua sogleich zum Tode führt,
Da lebt ein armer Schelm, der’s ihm verkaufte.
Oh, der Gedanke zielt’ auf mein Bedürfnis,
Und dieser dürft’ge Mann muß mir’s verkaufen
So viel ich mich entsinn’, ist dies das Haus:
Weil’s Festtag ist, schloß seinen Kram der Bettler.
He! holla! Apotheker!
Der Apotheker kommt heraus.
Apotheker
.
Wer ruft so laut?
Romeo
.
Mann, komm hieher! – Ich sehe, du bist arm.
Nimm, hier sind vierzig Stück Dukaten: gib
Mir eine Dose Gift; solch scharfen Stoff,
Der schnell durch alle Adern sich verteilt,
Daß tot der lebensmüde Trinker hinfällt,
Und daß die Brust den Odem von sich stößt
So ungestüm, wie schnell entzündet Pulver
Aus der Kanone furchtbar’m Schlunde blitzt.
Apotheker
.
So tödliche Arzneien hab’ ich wohl,
Doch Mantuas Gesetz ist Tod für jeden,
Der feil sie gibt.
Romeo
.
Bist du so nackt und bloß,
Von Plagen so bedrückt, und scheust den Tod?
Der Hunger sitzt in deinen hohlen Backen,
Not und Bedrängnis darbt in deinem Blick,
Auf deinem Rücken hängt zerlumptes Elend,
Die Welt ist nicht dein Freund, noch ihr Gesetz;
Die Welt hat kein Gesetz, dich reich zu machen:
Drum sei nicht arm, brich das Gesetz und nimm!
Apotheker
.
Nur meine Armut, nicht mein Wille weicht.
Romeo
.
Nicht deinem Willen, deiner Armut zahl’ ich.
Apotheker
.
Tut dies in welche Flüssigkeit Ihr wollt,
Und trinkt es aus; und hättet Ihr die Stärke
Von Zwanzigen, es hülf’ Euch gleich davon.
Romeo
.
Da ist dein Gold, ein schlimmres Gift den Seelen
Der Menschen, das in dieser eklen Welt
Mehr Mord verübt, als diese armen Tränkchen,
Die zu verkaufen dir verboten ist.
Ich gebe Gift dir; du verkaufst mir keins.
Leb wohl, kauf’ Speis’ und füttre dich heraus! –
Komm, Stärkungstrank, nicht Gift! Begleite mich
Zu Juliens Grab: denn da bedarf ich dich.
Ab.
¶
Zweite Szene
Lorenzos Zelle.
Bruder Marcus kömmt.
Marcus
.
Ehrwürd’ger Bruder Franziskaner! he!
Bruder Lorenzo kömmt.
Lorenzo
.
Das ist ja wohl des Bruders Marcus Stimme –
Willkommen mir von Mantua! Was sagt
Denn Romeo? Faßt’ er es schriftlich ab,
So gib den Brief!
Marcus
.
Ich ging, um einen Bruder
Barfüßer unsers Ordens, der den Kranken
In dieser Stadt hier zuspricht, zum Geleit
Mir aufzusuchen; und da ich ihn fand,
Argwöhnten die dazu bestellten Späher,
Wir wären beid’ in einem Haus, in welchem
Die böse Seuche herrschte, siegelten
Die Türen zu und ließen uns nicht gehn.
Dies hielt mich ab, nach Mantua zu eilen.
Lorenzo
.
Wer trug denn meinen Brief zum Romeo?
Marcus
.
Da hast du ihn, ich könnt’ ihn nicht bestellen:
Ihn dir zu bringen, fand kein Bote sich,
So bange waren sie vor Ansteckung.
Lorenzo
.
Unsel’ges Mißgeschick! Bei meinem Orden,
Nicht eitel war der Brief: sein Inhalt war
Von teuren Dingen, und die Säumnis kann
Gefährlich werden. Bruder Marcus, geh,
Hol’ ein Brecheisen mir und bring’s sogleich
In meine Zell’!
Marcus
.
Ich geh’ und bring’s dir, Bruder.
Ab.
Lorenzo
.
Ich muß allein zur Gruft nun. Innerhalb
Drei Stunden wird das schöne Kind erwachen;
Verwünschen wird sie mich, weil Romeo
Vom ganzen Vorgang nichts erfahren hat.
Doch schreib’ ich gleich aufs neu’ nach Mantua,
Und berge sie so lang’ in meiner Zell’,
Bis ihr Geliebter kömmt. Die arme Seele!
Lebend’ge Leich’ in dumpfer Grabeshöhle!
Ab.
¶
Dritte Szene
Ein Kirchhof; auf demselben das Familienbegräbnis der Capulets.
Paris und sein Page, mit Blumen und einer Fackel, treten auf.
Paris
.
Gib mir die Fackel, Knab’, und halt’ dich fern. –
Nein, lisch sie aus: man soll mich hier nicht sehn.
Dort unter jenen Ulmen streck’ dich hin,
Und leg’ dein Ohr dicht an den hohlen Grund:
So kann kein Fuß auf diesen Kirchhof treten,
Der locker
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