Sämtliche Werke
nicht, was ich will! O Clavigo!
Sophie .
Du hörst nicht! Du wirst dich umbringen.
Marie .
Ich will stille sein! Ja, ich will nicht weinen. Mich dünkt auch, ich hätte keine Tränen mehr! Und warum Tränen? Es ist mir nur leid, dass ich euch das Leben sauer mache. Denn im Grunde, worüber beklag’ ich mich? Ich habe viel Freude gehabt, solang unser alter Freund noch lebte. Clavigos Liebe hat mir viel Freude gemacht, vielleicht mehr als ihm die meinige. Und nun – was ist’s nun weiter? Was ist an mir gelegen? An einem Mädchen gelegen, ob ihm das Herz bricht? Ob es sich verzehrt und sein armes junges Leben ausquält?
Buenco .
Um Gottes willen, Mademoiselle!
Marie .
Ob’s ihm wohl einerlei ist – dass er mich nicht mehr liebt? Ach! Warum bin ich nicht mehr liebenswürdig? – Aber bedauern, bedauern sollt’ er mich! Dass die Arme, der er sich so notwendig gemacht hatte, nun ohne ihn ihr Leben hinschleichen, hinjammern soll. – Bedauern! Ich mag nicht von dem Menschen bedauert sein.
Sophie .
Wenn ich dich ihn könnte verachten lehren, den Nichtswürdigen! Den Hassenswürdigen!
Marie .
Nein, Schwester, ein Nichtswürdiger ist er nicht, und muss ich denn den verachten, den ich hasse? – Hassen! Ja manchmal kann ich ihn hassen, manchmal, wenn der spanische Geist über mich kommt. Neulich, o neulich, als wir ihm begegneten, sein Anblick wirkte volle warme Liebe auf mich! Und wie ich wieder nach Hause kam, und mir sein Betragen auffiel und der ruhige, kalte Blick, den er über mich herwarf an der Seite der glänzenden Donna – da ward ich Spanierin in meinem Herzen und griff nach meinem Dolch und nahm Gift zu mir und verkleidete mich. Ihr erstaunt, Buenco? Alles in Gedanken, versteht sich.
Sophie .
Närrisches Mädchen.
Marie .
Meine Einbildungskraft führte mich ihm nach, ich sah ihn, wie er zu den Füßen seiner neuen Geliebten alle die Freundlichkeit, alle die Demut verschwendete, mit der er mich vergiftet hat – ich zielte nach dem Herzen des Verräters! Ach, Buenceo! – Auf einmal war das gutherzige französische Mädchen wieder da, das keine Liebestränke kennt und keine Dolche zur Rache. Wir sind übel dran! Vaudevilles, unsere Liebhaber zu unterhalten, Fächer, sie zu bestrafen, und wenn sie untreu sind? – Sag’, Schwester, wie machen sie’s in Frankreich, wenn die Liebhaber untreu sind?
Sophie .
Man verwünscht sie.
Marie .
Und?
Sophie .
Und lässt sie laufen.
Marie .
Laufen! Nun und warum soll ich Clavigo nicht laufen lassen? Wenn das in Frankreich Mode ist, warum soll’s nicht in Spanien sein? Warum soll eine Französin in Spanien nicht Französin sein? Wir wollen ihn laufen lassen und uns einen andern nehmen; mich dünkt, sie machen’s bei uns auch so.
Buenco .
Er hat eine feierliche Zusage gebrochen und keinen leichtsinnigen Roman, kein gesellschaftliches Attachement. Mademoiselle, Sie sind bis ins innerste Herz beleidigt, gekränkt. O, mir ist mein Stand, dass ich ein unbedeutender ruhiger Bürger von Madrid bin, nie so beschwerlich, nie so ängstlich gewesen als jetzt, da ich mich so schwach, so unvermögend fühle, Ihnen gegen den falschen Höfling Gerechtigkeit zu schaffen!
Marie .
Wie er noch Clavigo war, noch nicht Archivarius des Königs, wie er der Fremdling, der Ankömmling, der Neueingeführte in unserm Hause war, wie liebenswürdig war er, wie gut! Wie schien all sein Ehrgeiz, all sein Aufstreben ein Kind seiner Liebe zu sein! Für mich rang er nach Namen, Stand, Gütern; er hat’s, und ich! – –
Guilbert kommt.
Guilbert (heimlich zu seiner Frau) .
Der Bruder kommt.
Marie .
Der Bruder! – (Sie zittert, man führt sie in einen Sessel.) Wo? Wo? Bringt mir ihn! Bringt mich hin!
Beaumarchais kommt.
Beaumarchais .
Meine Schwester! (Von der ältesten weg, nach der jüngsten zustürzend.) Meine Schwester! Meine Freunde! O Schwester!
Marie .
Bist du da! Gott sei Dank, du bist da!
Beaumarchais .
Lass mich zu mir selbst kommen.
Marie .
Mein Herz, mein armes Herz!
Sophie .
Beruhigt euch! Lieber Bruder, ich hoffte, dich gelassener zu sehn.
Beaumarchais .
Gelassener! Seid ihr denn gelassen? Seh’ ich nicht an der zerstörten Gestalt dieser Lieben, an deinen verweinten Augen, deiner Blässe des Kummers, an dem toten Stillschweigen eurer Freunde, dass ihr so elend seid, wie ich mir euch den ganzen langen Weg vorgestellt habe? Und elender – denn ich seh’ euch, ich hab’ euch in meinen Armen, die Gegenwart verdoppelt meine Gefühle, o meine
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