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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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habe. Ausgeredet hat man bald mit ihnen; hernach schleppt man sich eine Zeitlang herum, und kaum sind sie ein bisschen warm bei einem, hat sie der Teufel gleich mit Heiratsgedanken und Heiratsvorschlägen, die ich fürchte wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo?
    Clavigo .
    Ich kann die Erinnerung nicht loswerden, dass ich Marien verlassen – hintergangen habe, nenn’s, wie du willst.
    Carlos .
    Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur einmal in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor. Und heiraten! Heiraten just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll! Sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch die hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Dass du sie liebtest, das war natürlich, dass du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hättest, wär’s gar Raserei gewesen.
    Clavigo .
    Sieh, ich begreife den Menschen nicht. Ich liebte sie wahrlich, sie zog mich an, sie hielt mich, und wie ich zu ihren Füßen saß, schwur ich ihr, schwur ich mir, dass es ewig so sein sollte, dass ich der Ihrige sein wollte, sobald ich ein Amt hätte, einen Stand – Und nun, Carlos!
    Carlos .
    Es wird noch Zeit genug sein, wenn du ein gemachter Mann bist, wenn du das erwünschte Ziel erreicht hast, dass du alsdann, um all dein Glück zu krönen und zu befestigen, dich mit einem angesehenen und reichen Hause durch eine kluge Heirat zu verbinden suchst.
    Clavigo .
    Sie ist verschwunden! Glatt aus meinem Herzen verschwunden, und wenn mir ihr Unglück nicht manchmal durch den Kopf führe – Dass man so veränderlich ist!
    Carlos .
    Wenn man beständig wäre, wollt’ ich mich verwundern. Sieh doch, verändert sich nicht alles in der Welt? Warum sollten unsere Leidenschaften bleiben? Sei du ruhig, sie ist nicht das erste verlassne Mädchen und nicht das erste, das sich getröstet hat. Wenn ich dir raten soll, da ist die junge Witwe gegenüber –
    Clavigo .
    Du weißt, ich halte nicht viel auf solche Vorschläge. Ein Roman, der nicht ganz von selbst kommt, ist nicht imstande, mich einzunehmen.
    Carlos .
    Über die delikaten Leute!
    Clavigo .
    Lass das gut sein und vergiss nicht, dass unser Hauptwerk gegenwärtig sein muss, uns dem neuen Minister notwendig zu machen. Dass Whal das Gouvernement von Indien niederlegt, ist immer beschwerlich für uns. Zwar ist mir’s weiter nicht bange; sein Einfluss bleibt – Grimaldi und er sind Freunde, und wir können schwatzen und uns bücken –
    Carlos .
    Und denken und tun, was wir wollen.
    Clavigo .
    Das ist die Hauptsache in der Welt. (Schellt dem Bedienten.) Tragt das Blatt in die Druckerei.
    Carlos .
    Sieht man Euch den Abend?
    Clavigo .
    Nicht wohl. Nachfragen könnt Ihr ja.
    Carlos .
    Ich möchte heut Abend gar zu gern was unternehmen, das mir das Herz erfreute; ich muss diesen ganzen Nachmittag wieder schreiben. Das endigt nicht.
    Clavigo .
    Lass es gut sein. Wenn wir nicht für so viele Leute arbeiteten, wären wir so vielen Leuten nicht über den Kopf gewachsen. (Ab.)
    (Guilberts Wohnung.)
    Sophie Guilbert . Marie Beaumarchais . Don Buenco .
    Buenco .
    Sie haben eine üble Nacht gehabt?
    Sophie .
    Ich sagt’s ihr gestern Abend. Sie war so ausgelassen lustig und hat geschwatzt bis eilfe, da war sie erhitzt, konnte nicht schlafen, und nun hat sie wieder keinen Atem und weint den ganzen Morgen.
    Marie .
    Dass unser Bruder nicht kommt! Es sind zwei Tage über die Zeit.
    Sophie .
    Nur Geduld, er bleibt nicht aus.
    Marie (aufstehend) .
    Wie begierig bin ich, diesen Bruder zu sehen, meinen Richter und meinen Retter. Ich erinnre mich seiner kaum.
    Sophie .
    O ja, ich kann mir ihn noch wohl vorstellen: Er war ein feuriger, offner, braver Knabe von dreizehn Jahren, als uns unser Vater hierher schickte.
    Marie .
    Eine edle, große Seele. Sie haben den Brief gelesen, den er schrieb, als er mein Unglück erfuhr. Jeder Buchstabe davon steht in meinem Herzen. „Wenn Du schuldig bist,“ schreibt er, „so erwarte keine Vergebung; über Dein Elend soll noch die Verachtung eines Bruders auf Dir schwer werden und der Fluch eines Vaters. Bist Du unschuldig – o dann alle Rache, alle, alle glühende Rache auf den Verräter!“ – Ich zittere! Er wird kommen. Ich zittere, nicht für mich, ich stehe vor Gott in meiner Unschuld. – Ihr müsst, meine Freunde – Ich weiß

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