Sämtliche Werke
Vorderbeine, jedoch die Hinterbeine des Tierleins verschonte er und sprach: »Ich bin jetzt gesättigt, und diesem guten Schafe, das mich mit seinen Vorderbeinen gespeiset hat, lasse ich aus Pietät alle seine übrigen Beine und den ganzen Rest seines Leibes.«
XLII
Paris, den 7. Februar 1842
»Wir tanzen hier auf einem Vulkan« – aber wir tanzen. Was in dem Vulkan gärt, kocht und brauset, wollen wir heute nicht untersuchen, und nur wie man darauf tanzt, sei der Gegenstand unserer Betrachtung. Da müssen wir nun zunächst von der Académie royale de musique reden, wo noch immer jenes ehrwürdige Corps de ballet existiert, das die choreographischen Überlieferungen treulich bewahrt und als die Pairie des Tanzes zu betrachten ist. Wie jene andere, die im Luxembourg residiert, zählt auch diese Pairie unter ihrem Personal gar viele Perücken und Mumien, über die ich mich nicht aussprechen will aus leicht begreiflicher Furcht. Das Mißgeschick des Herrn Perré, des Geranten des »Siècle«, der jüngst zu sechs Monaten Karzer und 10000 Franken verurteilt worden, hat mich gewitzigt. Nur von Carlotta Grisi will ich reden, die in der respektablen Versammlung der Rue Lepelletier gar wunderlieblich hervorstrahlt, wie eine Apfelsine unter Kartoffeln. Nächst dem glücklichen Stoff, der den Schriften eines deutschen Autors entlehnt, war es zumeist die Carlotta Grisi, die dem Ballett »Die Willi« eine unerhörte Vogue verschaffte. Aber wie köstlich tanzt sie! Wenn man sie sieht, vergißt man, daß Taglioni in Rußland und Elßler in Amerika ist, man vergißt Amerika und Rußland selbst, ja die ganze Erde, und man schwebt mit ihr empor in die hängenden Zaubergärten jenes Geisterreichs, worin sie als Königin waltet. Ja, sie hat ganz den Charakter jener Elementargeister, die wir uns immer tanzend denken und von deren gewaltigen Tanzweisen das Volk soviel Wunderliches fabelt. In der Sage von den Willis ward jene geheimnisvolle, rasende, mitunter menschenverderbliche Tanzlust, die den Elementargeistern eigen ist, auch auf die toten Bräute übertragen; zu dem altheidnisch übermütigen Lustreiz des Nixen- und Elfentums gesellten sich noch die melancholisch wollüstigen Schauer, das dunkelsüße Grausen des mittelalterlichen Gespensterglaubens.
Entspricht die Musik dem abenteuerlichen Stoffe jenes Balletts? War Herr Adam, der die Musik geliefert, fähig, Tanzweisen zu dichten, die, wie es in der Volkssage heißt, die Bäume des Waldes zum Hüpfen und den Wasserfall zum Stillstehen zwingen? Herr Adam war, soviel ich weiß, in Norwegen, aber ich zweifle, ob ihm dort irgendein runenkundiger Zauberer jene Strömkarlmelodie gelehrt, wovon man nur zehn Variationen aufzuspielen wagt; es gibt nämlich noch eine elfte Variation, die großes Unglück anrichten könnte: spielt man diese, so gerät die ganze Natur in Aufruhr, die Berge und Felsen fangen an zu tanzen, und die Häuser tanzen, und drinnen tanzen Tisch und Stühle, der Großvater ergreift die Großmutter, der Hund ergreift die Katze zum Tanzen, selbst das Kind springt aus der Wiege und tanzt. Nein, solche gewalttätige Melodien hat Herr Adam nicht von seiner nordischen Reise heimgebracht; aber was er geliefert, ist immer ehrenwert, und er behauptet eine ausgezeichnete Stellung unter den Tondichtern der französischen Schule.
Ich kann nicht umhin, hier zu erwähnen, daß die christliche Kirche, die alle Künste in ihren Schoß aufgenommen und benutzt hat, dennoch mit der Tanzkunst nichts anzufangen wußte und sie verwarf und verdammte. Die Tanzkunst erinnerte vielleicht allzusehr an den alten Tempeldienst der Heiden, sowohl der römischen Heiden als der germanischen und keltischen, deren Götter eben in jene elfenhaften Wesen übergingen, denen der Volksglaube, wie ich oben andeutete, eine wundersame Tanzsucht zuschrieb. Überhaupt ward der böse Feind am Ende als der eigentliche Schutzpatron des Tanzes betrachtet, und in seiner frevelhaften Gemeinschaft tanzten die Hexen und Hexenmeister ihre nächtlichen Reigen. Der Tanz ist verflucht, sagt ein fromm bretonisches Volkslied, seit die Tochter der Herodias vor dem argen Könige tanzte, der ihr zu Gefallen Johannem töten ließ. »Wenn du tanzen siehst«, fügt der Sänger hinzu, »so denke an das blutige Haupt des Täufers auf der Schüssel, und das höllische Gelüste wird deiner Seele nichts anhaben können!« Wenn man über den Tanz in der Académie royale de musique etwas tiefer nachdenkt, so erscheint er als ein
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