Sämtliche Werke
große Wasserschlange, die immer in ihr ungeheures Wassernest zurückkriechen kann, und Rußland, das in seinen ungeheuren Föhren, Steppen und Eisgefilden ebenfalls die sichersten Verstecke hat, diese beiden können in einem gewöhnlichen politischen Kriege, selbst durch die entschiedensten Niederlagen, nicht ganz zugrunde gerichtet werden: – aber Deutschland ist in solchen Fällen weit schlimmer bedroht, und gar Frankreich könnte in der kläglichsten Weise seine politische Existenz einbüßen. Doch das wäre nur der erste Akt des großen Spektakelstücks, gleichsam das Vorspiel. Der zweite Akt ist die europäische, die Weltrevolution, der große Zweikampf der Besitzlosen mit der Aristokratie des Besitzes, und da wird weder von Nationalität noch von Religion die Rede sein: nur
ein
Vaterland wird es geben, nämlich die Erde, und nur
einen
Glauben, nämlich das Glück auf Erden. Werden die religiösen Doktrinen der Vergangenheit in allen Landen sich zu einem verzweiflungsvollen Widerstand erheben, und wird etwa dieser Versuch den dritten Akt bilden? Wird gar die alte absolute Tradition nochmals auf die Bühne treten, aber in einem neuen Kostüm und mit neuen Stich- und Schlagwörtern? Wie würde dieses Schauspiel schließen? Ich weiß nicht, aber ich denke, daß man der großen Wasserschlange am Ende das Haupt zertreten und dem Bären des Nordens das Fell über die Ohren ziehen wird. Es wird vielleicht alsdann nur
einen
Hirten und
eine
Herde geben, ein freier Hirt mit einem eisernen Hirtenstabe und eine gleichgeschorene, gleichblökende Menschenherde! Wilde, düstere Zeiten dröhnen heran, und der Prophet, der eine neue Apokalypse schreiben wollte, müßte ganz neue Bestien erfinden, und zwar so erschreckliche, daß die älteren Johanneischen Tiersymbole dagegen nur sanfte Täubchen und Amoretten wären. Die Götter verhüllen ihr Antlitz aus Mitleid mit den Menschenkindern, ihren langjährigen Pfleglingen, und vielleicht zugleich auch aus Besorgnis über das eigene Schicksal. Die Zukunft riecht nach Juchten, nach Blut, nach Gottlosigkeit und nach sehr vielen Prügeln. Ich rate unsern Enkeln, mit einer sehr dicken Rückenhaut zur Welt zu kommen.
XLVII
Paris, 15. Juli 1842
Meine dunkle Ahnung hat mich leider nicht getäuscht; die trübe Stimmung, die mich seit einigen Tagen fast beugte und mein Auge umflorte, war das Vorgefühl eines Unglücks. Nach dem jauchzenden Übermut von vorgestern ist gestern ein Schrecken, eine Bestürzung eingetreten, die unbeschreiblich, und die Pariser gelangen durch einen unvorhergesehenen Todesfall zur Erkenntnis, wie wenig die hiesigen Zustände gesichert und wie gefährlich jedes Rütteln. Und sie wollten doch nur ein bißchen rütteln, keineswegs durch allzu starke Stöße das Staatsgebäude erschüttern. Wäre der Herzog von Orleans einige Tage früher gestorben, so hätte Paris keine zwölf Oppositionsdeputierten im Gegensatz zu zwei Konservativen gewählt und nicht durch diesen ungeheuren Akt die Bewegung wieder in Bewegung gesetzt. Dieser Todesfall stellt alles Bestehende in Frage, und es wird ein Glück sein, wenn die Anordnung der Regentschaft, für den Fall des Ablebens des jetzigen Königs, so bald als möglich und ohne Störnis von den Kammern beraten und beschlossen wird. Ich sage von den Kammern, denn das königliche Hausgesetz ist hier nicht ausreichend wie in andern Ländern. Die Diskussionen über die Regentschaft werden daher die Kammern zunächst beschäftigen und den Leidenschaften Worte leihen. Und geht auch alles ruhig vonstatten, so steht uns doch ein provisorisches Interregnum bevor, das immer ein Mißgeschick und ein ganz besonders schlimmes Mißgeschick ist für ein Land, wo die Verhältnisse noch so wackelig sind und eben der Stabilität am meisten bedürfen. Der König soll in seinem Unglück die höchste Charakterstärke und Besonnenheit beweisen, obgleich er schon seit einigen Wochen sehr niedergeschlagen war. Sein Geist ward in der letzten Zeit durch sonderbare Ahnungen getrübt. Er soll unlängst an Thiers, vor dessen Abreise, einen Brief geschrieben haben, worin er sehr viel vom Sterben sprach, aber er dachte gewiß nur an den eigenen Tod. Der verstorbene Herzog von Orleans war allgemein geliebt, ja angebetet. Die Nachricht seines Todes traf wie ein Blitz aus heiterm Himmel, und Betrübnis herrscht unter allen Volksklassen. Um zwei Uhr gestern nachmittag verbreitete sich auf der Börse, wo die Fonds gleich um drei Francs fielen, ein dumpfes
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