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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Paris, unverändert in seinen Gesinnungen; nur seine Augen waren erloschen, sein Herz war licht und jung geblieben. Der französische Adel hat sehr viele, erstaunlich viele solcher Erscheinungen hervorgebracht, und das Volk weiß es auch, und diese Edelleute, die seinen Interessen solche Ergebenheit bewiesen, nennt es »les bons nobles«. Mißtrauen gegen den Adel im allgemeinen mag sich in revolutionären Zeiten zwar als nützlich herausstellen, wird aber immer eine Ungerechtigkeit bleiben. In dieser Beziehung gewährt uns eine große Lehre das Leben eines Tracy, eines Rochefoucauld, eines d’Argenson, eines Lafayette und ähnlicher Ritter der Volksrechte.
    Gerade, unbeugsam und schneidend, wie einst sein Schwert, war der Geist des Destutt de Tracy, als er sich später in jene materialistische Philosophie warf, die in Frankreich durch Condillac zur Herrschaft gelangte. Letzterer wagte nicht die letzten Konsequenzen dieser Philosophie auszusprechen, und wie die meisten seiner Schule ließ er dem Geiste immer noch ein abgeschiedenes Winkelchen im Universalreiche der Materie. Destutt de Tracy aber hat dem Geiste auch dieses letzte Refugium aufgekündigt, und seltsam! zu derselben Zeit, wo bei uns in Deutschland der Idealismus auf die Spitze getrieben und die Materie geleugnet wurde, erklomm in Frankreich das materialistische Prinzip seinen höchsten Gipfel, und man leugnete hier den Geist. Destutt de Tracy war sozusagen der Fichte des Materialismus.
    Es ist ein merkwürdiger Umstand, daß Napoleon gegen die philosophische Koterie, wozu Tracy, Cabanis und Konsorten gehörten, eine so besorgliche Abneigung hegte und sie mitunter sehr streng behandelte. Er nannte sie Ideologen, und er empfand eine vage, schier abergläubische Furcht vor jener Ideologie, die doch nichts anderes war als der schäumende Aufguß der materialistischen Philosophie; diese hatte freilich die größte Umwälzung gefördert und die schauerlichsten Zerstörungskräfte offenbart, aber ihre Mission war vollbracht und also auch ihr Einfluß beendigt. Bedrohlicher und gefährlicher war jene entgegengesetzte Doktrin, die unbeachtet in Deutschland emportauchte und späterhin soviel beitrug zum Sturz der französischen Gewaltherrschaft. Es ist merkwürdig, daß Napoleon auch in diesem Fall nur die Vergangenheit begriff und für die Zukunft weder Ohr noch Auge hatte. Er ahnte einen verderblichen Feind im Reich des Gedankens, aber er suchte diesen Feind unter alten Perücken, die noch vom Puder des achtzehnten Jahrhunderts stäubten; er suchte ihn unter französischen Greisen, statt unter der blonden Jugend der deutschen Hochschulen. Da war unser Vierfürst Herodes viel gescheiter, als er die gefährliche Brut in der Wiege verfolgte und den Kindermord befahl. Doch auch ihm fruchtete nicht viel die größere Pfiffigkeit, die an dem Willen der Vorsehung zuschanden wurde – seine Schergen kamen zu spät, das furchtbare Kind war nicht mehr in Bethlehem, ein treues Eselein trug es rettend nach Ägypten. Ja, Napoleon besaß Scharfblick nur für Auffassung der Gegenwart oder Würdigung der Vergangenheit, und er war stockblind für jede Erscheinung, worin sich die Zukunft ankündigte. Er stand auf dem Balkon seines Schlosses zu Saint-Clond, als das erste Dampfschiff dort auf der Seine vorüberfuhr, und er merkte nicht im mindesten die weltumgestaltende Bedeutung dieses Phänomens!
XLV
    Paris, 20. Juni 1842
    In einem Lande, wo die Eitelkeit so viele eifrige Jünger zählt, wird die Zeit der Deputiertenwahl immer eine sehr bewegte sein. Da die Deputation aber nicht bloß die Eigenliebe kitzelt, sondern auch zu den fettesten Ämtern und zu den einträglichsten Einflüssen führt; da hier also nicht bloß der Ehrgeiz, sondern auch die Habsucht ins Spiel kommt; da es sich hier auch um jene materiellen Interessen handelt, denen unser Zeitalter so inbrünstig huldigt: so ist die Deputiertenwahl ein wahrer Wettlauf, ein Pferderennen, dessen Anblick für den fremden Zuschauer eher kurios als erfreulich sein mag. Es sind nämlich nicht eben die schönsten und besten Pferde, die bei solchem Rennen zum Vorschein kommen, nicht die inwohnenden Tugenden der Stärke, des Vollbluts, der Ausdauer kommen hier in Anschlag, sondern nur die leichtfüßige Behendigkeit. Manches edle Roß, dem der feurigste Schlachtmut aus den Nüstern schnaubt und Vernunft aus den Augen blitzt, muß hier einem magern Klepper nachstehen, der aber zu Triumphen auf dieser Bahn ganz besonders abgerichtet

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