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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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die hier in Frankreich dem herrschenden Bürgerstande eine große Angst einflößt, und dieser Angst verdankt Ludwig Philipp seine ergebensten Anhänger, die eifrigsten Stützen seines Thrones. Je heftiger die Stützen zittern, desto weniger schwankt der Thron, und der König braucht nichts zu fürchten, eben weil die Furcht ihm Sicherheit gibt. Auch Guizot erhält sich durch die Angst vor der neuen Definition, die er mit seiner scharfen Dialektik so meisterhaft bekämpft, und ich glaube nicht, daß er so bald unterliegt, obgleich die herrschende Partei der Bourgeoisie, für die er soviel getan und soviel tut, kein Herz für ihn hat. Warum lieben sie ihn nicht? Ich glaube, erstens, weil sie ihn nicht verstehen, und zweitens, weil man denjenigen, der unsere eignen Güter schützt, immer weit weniger liebt als denjenigen, der uns fremde Güter verspricht. So war es einst in Athen, so ist es jetzt in Frankreich, so wird es in jeder Demokratie sein, wo das Wort frei ist und die Menschen leichtgläubig.
LII
    Paris, 4. Dezember 1842
    Wird sich Guizot halten? Es hat mit einem französischen Ministerium ganz dieselbe Bewandtnis wie mit der Liebe: man kann nie ein sicheres Urteil fällen über seine Stärke und Dauer. Man glaubt zuweilen, das Ministerium wurzle unerschütterlich fest, und siehe! es stürzt den nächsten Tag durch einen geringen Windzug. Noch öfter glaubt man, das Ministerium wackle seinem Untergang entgegen, es könne sich nur noch wenige Wochen auf den Beinen halten, aber zu unsrer Verwunderung zeigt es sich alsbald noch kräftiger als früher und überlebt alle diejenigen, die ihm schon die Leichenrede hielten. Vor vier Wochen, den 29. Oktober, feierte das Guizotsche Ministerium seinen dritten Geburtstag, es ist jetzt über zwei Jahr alt, und ich sehe nicht ein, warum es nicht länger leben sollte auf dieser schönen Erde, auf dem Boulevard des Capucines, wo grüne Bäume und gute Luft. Freilich, gar viele Ministerien sind dort schnell hingerafft worden, aber diese haben ihr frühes Ende immer selbst verschuldet: sie haben sich zuviel Bewegung gemacht. Ja, was bei uns andern die Gesundheit fördert, die Bewegung, das macht ein Ministerium todkrank, und namentlich der 1. März ist daran gestorben. Sie können nicht stillsitzen, diese Leutchen. Der öftere Regierungswechsel in Frankreich ist nicht bloß eine Nachwirkung der Revolution, sondern auch ein Ergebnis des Nationalcharakters der Franzosen, denen das Handeln, die Tätigkeit, die Bewegung ein ebenso großes Bedürfnis ist wie uns Deutschen das Tabaksrauchen, das stille Denken und die Gemütsruhe; gerade dadurch, daß die französischen Staatslenker so rührig sind und sich beständig etwas Neues zu schaffen machen, geraten sie in halsbrechende Verwicklungen. Dies gilt nicht bloß von den Ministerien, sondern auch von den Dynastien, die immer durch eigene Aktivität ihre Katastrophe beschleunigt haben. Ja, durch dieselbe fatale Ursache, durch die unermüdliche Aktivität, ist nicht bloß Thiers gefallen, sondern auch der stärkere Napoleon, der bis an sein seliges Ende auf dem Throne geblieben wäre, wenn er nur die Kunst des Stillsitzens, die bei uns den kleinen Kindern zuerst gelehrt wird, besessen hätte! Diese Kunst besitzt aber Herr Guizot in einem hohen Grade, er hält sich marmorn still, wie der Obelisk des Luxor, und wird deshalb sich länger erhalten, als man glaubt. Er tut nichts, und das ist das Geheimnis seiner Erhaltung. Warum aber tut er nichts? Ich glaube zunächst, weil er wirklich eine gewisse germanische Gemütsruhe besitzt und von der Sucht der Geschäftigkeit weniger geplagt wird als seine Landsleute. Oder tut er nichts, weil er soviel versteht? Je mehr wir wissen, je tiefer und umfassender unsre Einsichten sind, desto schwerer wird uns das Handeln, und wer alle Folgen jedes Schrittes immer voraussähe, der würde gewiß bald aller Bewegung entsagen und seine Hände nur dazu gebrauchen, um seine eigenen Füße zu binden. Das weiteste Wissen verdammt uns zur engsten Passivität.
    Indessen – was auch das Schicksal des Ministeriums sein möge –, laßt uns die letzten Tage des Jahrs, das gottlob seinem Ende naht, so resigniert als möglich ertragen! Wenn uns nur der Himmel nicht zum Schluß mit einem neuen Unglück heimsucht! Es war ein schlechtes Jahr, und wäre ich ein Tendenzpoet, ich würde mit meinen mißtönend poltrigsten Versen dem scheidenden Jahre ein Charivari bringen. In diesem schlechten, schändlichen Jahre hat die

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