Sämtliche Werke
Schauer der Unendlichkeit, ohne geheimnisvollen Zauber, ohne Wehmut, ohne Ironie, ohne Morbidezza, ich möchte fast sagen eine elegant bäurische Poesie der Gesundheit. Die Oper von Monsigny mahnte mich unmittelbar an seinen Zeitgenossen, den Maler Greuze: ich sah hier wie leibhaftig die ländlichen Szenen, die dieser gemalt, und ich glaubte gleichsam die Musikstücke zu vernehmen, die dazu gehörten. Bei der Anhörung jener Oper ward es mir ganz deutlich, wie die bildenden und die rezitierenden Künste derselben Periode immer einen und denselben Geist atmen und ihre Meisterwerke die intimste Wahlverwandtschaft beurkunden.
Ich kann diesen Bericht nicht schließen, ohne zu bemerken, daß die musikalische Saison noch nicht zu Ende ist und dieses Jahr gegen alle Gewohnheit bis in den Mai fortklingt. Die bedeutendsten Bälle und Konzerte werden in diesem Augenblick gegeben, und die Polka wetteifert noch mit dem Piano. Ohren und Füße sind müde, aber können sich doch noch nicht zur Ruhe begeben. Der Lenz, der sich diesmal so früh eingestellt, macht Fiasko, man bemerkt kaum das grüne Laub und die Sonnenlichter. Die Ärzte, vielleicht ganz besonders die Irrenärzte, werden bald viel Beschäftigung gewinnen. In diesem bunten Taumel, in dieser Genußwut, in diesem singenden, springenden Strudel lauert Tod und Wahnsinn. Die Hämmer der Pianoforte wirken fürchterlich auf unsre Nerven, und die große Drehkrankheit, die Polka, gibt uns den Gnadenstoß.
Spätere Notiz
Den vorstehenden Mitteilungen füge ich aus melancholischer Grille die folgenden Blätter hinzu, die dem Sommer 1847 angehören und meine letzte musikalische Berichterstattung bilden. Für mich hat alle Musik seitdem aufgehört, und ich ahnte nicht, als ich das Leidensbild Donizettis krayonnierte, daß eine ähnliche und weit schmerzlichere Heimsuchung mir nahete. Die kurze Kunstnotiz lautet wie folgt:
Seit Gustav Adolf, glorreichen Andenkens, hat keine schwedische Reputation soviel Lärm in der Welt gemacht wie Jenny Lind. Die Nachrichten, die uns darüber aus England zukommen, grenzen ans Unglaubliche. In den Zeitungen klingen nur Posaunenstöße, Fanfaren des Triumphes; wir hören nur Pindarsche Lobgesänge. Ein Freund erzählte mir von einer englischen Stadt, wo alle Glocken geläutet wurden, als die schwedische Nachtigall dort ihren Einzug hielt; der dortige Bischof feierte dieses Ereignis durch eine merkwürdige Predigt. In seinem anglikanischen Episkopalkostüme, welches der Leichenbittertracht eines Chef des pompes funèbres nicht unähnlich, bestieg er die Kanzel der Hauptkirche und begrüßte die Neuangekommene als einen Heiland in Weibskleidern, als eine Frau Erlöserin, die vom Himmel herabgestiegen, um unsre Seelen durch ihren Gesang von der Sünde zu befreien, während die andern Cantatricen ebenso viele Teufelinnen seien, die uns hineintrillern in den Rachen des Satanas. Die Italienerinnen Grisi und Persiani müssen vor Neid und Ärger jetzt gelb werden wie Kanarienvögel, während unsre Jenny, die schwedische Nachtigall, von einem Triumph zum andern flattert. Ich sage unsre Jenny, denn im Grunde repräsentiert die schwedische Nachtigall nicht exklusive das kleine Schweden, sondern sie repräsentiert die ganze germanische Stammesgenossenschaft, die der Zimbern ebensosehr wie die der Teutonen, sie ist auch eine Deutsche, ebensogut wie ihre naturwüchsigen und pflanzenschläfrigen Schwestern an der Elbe und am Neckar, sie gehört Deutschland, wie, der Versicherung des Franz Horn gemäß, auch Shakespeare uns angehört und wie gleicherweise Spinoza, seinem innersten Wesen nach, nur ein Deutscher sein kann – und mit Stolz nennen wir Jenny Lind die Unsre! Juble, Uckermark, auch du hast teil an diesem Ruhme! Springe, Maßmann, deine vaterländisch freudigsten Sprünge, denn unsre Jenny spricht kein römisches Rotwelsch, sondern gotisch, skandinavisch, das deutscheste Deutsch, und du kannst sie als Landsmännin begrüßen; nur mußt du dich waschen, ehe du ihr deine deutsche Hand reichst. Ja, Jenny Lind ist eine Deutsche, schon der Name Lind mahnt an Linden, die grünen Muhmen der deutschen Eichen, sie hat keine schwarzen Haare wie die welschen Primadonnen, in ihren blauen Augen schwimmt nordisches Gemüt und Mondschein, und in ihrer Kehle tönt die reinste Jungfräulichkeit! Das ist es. »Maidenhood is in her voice« – das sagten alle old spinsters von London, alle prüden ladies und frommen gentlemen sprachen es augenverdrehend nach, die noch
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