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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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ihn jemand in den obern Sälen des Louvre, wo die ägyptischen Antiquitäten aufgestellt. Der Ritter Spontini stand wie eine Bildsäule mit verschlungenen Armen fast eine Stunde lang vor einer großen Mumie, deren prächtige Goldlarve einen König ankündigt, der kein Geringerer sein soll als jener Amenophes, unter dessen Regierung die Kinder Israel das Land Ägypten verlassen haben. Aber Spontini brach am Ende sein Schweigen und sprach folgendermaßen zu seiner erlauchten Mitmumie: »Unseliger Pharao! du bist an meinem Unglück schuld. Ließest du die Kinder Israel nicht aus dem Lande Ägypten fortziehen oder hättest du sie sämtlich im Nil ersäufen lassen, so wäre ich nicht durch Meyerbeer und Mendelssohn aus Berlin verdrängt worden, und ich dirigierte dort noch immer die Große Oper und die Hofkonzerte. Unseliger Pharao, schwacher Krokodilenkönig, durch deine halben Maßregeln geschah es, daß ich jetzt ein zugrunde gerichteter Mann bin – und Moses und Halévy und Mendelssohn und Meyerbeer haben gesiegt!« Solche Reden hält der unglückliche Mann, und wir können ihm unser Mitleid nicht versagen.
    Was Meyerbeer betrifft, so wird, wie oben angedeutet, sein »Prophet« noch lange Zeit ausbleiben. Er selbst aber wird nicht, wie die Zeitungen jüngst meldeten, für immer in Berlin seinen Aufenthalt nehmen. Er wird wie bisher abwechselnd die eine Hälfte des Jahres hier in Paris und die andere in Berlin zubringen, wozu er sich förmlich verpflichtet hat. Seine Lage erinnert so ziemlich an Proserpina, nur daß der arme Maestro hier wie dort seine Hölle und seine Höllenqual findet. Wir erwarten ihn noch diesen Sommer hier, in der schönen Unterwelt, wo schon einige Schock musikalischer Teufel und Teufelinnen seiner harren, um ihm die Ohren vollzuheulen. Von morgens bis abends muß er Sänger und Sängerinnen anhören, die hier debütieren wollen, und in seinen Freistunden beschäftigen ihn die Albums reisender Engländerinnen.
    An Debütanten war diesen Winter in der Großen Oper kein Mangel. Ein deutscher Landsmann debütierte als Marcel in den »Hugenotten«. Er war vielleicht in Deutschland nur ein Grobian mit einer brummigen Bierstimme und glaubte deshalb in Paris als Bassist auftreten zu können. Der Kerl schrie wie ein Waldesel. Auch eine Dame, die ich im Verdacht habe, eine Deutsche zu sein, produzierte sich auf den Brettern der Rue Lepelletier. Sie soll außerordentlich tugendhaft sein und singt sehr falsch. Man behauptet, nicht bloß der Gesang, sondern alles an ihr, die Haare, zwei Drittel ihrer Zähne, die Hüften, der Hinterteil, alles sei falsch, nur ihr Atem sei echt; die frivolen Franzosen werden dadurch gezwungen sein, sich ehrfurchtsvoll entfernt von ihr zu halten. Unsre Primadonna, Madame Stoltz, wird sich nicht länger behaupten können; der Boden ist unterminiert, und obgleich ihr als Weib alle Geschlechtslist zu Gebote steht, wird sie doch am Ende von dem großen Giacomo Machiavelli überwunden, der die Viardot-Garcia an ihrer Stelle engagiert sehen möchte, um die Hauptrolle in seinem »Propheten« zu singen. Madame Stoltz sieht ihr Schicksal voraus, sie ahnt, daß selbst die Affenliebe, die ihr der Direktor der Oper widmet, ihr nichts helfen kann, wenn der große Meister der Tonkunst seine Künste spielen läßt; und sie hat beschlossen, freiwillig Paris zu verlassen, nie wieder zurückzukehren und in fremden Landen ihr Leben zu beschließen. »Ingrata patria«, sagte sie jüngst, »ne ossa quidem mea habebis.« In der Tat, seit einiger Zeit besteht sie wirklich nur noch aus Haut und Knochen.
    Bei den Italienern, in der Opera buffa, gab es vorigen Winter ebenso brillante Fiaskos wie in der Großen Oper. Auch über die Sänger wurde dort viel geklagt, mit dem Unterschied, daß die Italiener manchmal nicht singen wollten und die armen französischen Sangeshelden nicht singen konnten. Nur das kostbare Nachtigallenpaar, Signor Mario und Signora Grisi, waren immer pünktlich auf ihrem Posten in der Salle Ventadour und trillerten uns dort den blühendsten Frühling vor, während draußen Schnee und Wind und Fortepianokonzerte und Deputiertenkammerdebatten und Polkawahnsinn. Ja, das sind holdselige Nachtigallen, und die Italienische Oper ist der ewig blühende singende Wald, wohin ich oft flüchte, wenn winterlicher Trübsinn mich umnebelt oder der Lebensfrost unerträglich wird. Dort, im süßen Winkel einer etwas verdeckten Loge, wird man wieder angenehm erwärmt, und man verblutet wenigstens

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