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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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nicht in der Kälte. Der melodische Zauber verwandelt dort in Poesie, was eben noch täppische Wirklichkeit war, der Schmerz verliert sich in Blumenarabesken, und bald lacht wieder das Herz. Welche Wonne, wenn Mario singt und in den Augen der Grisi die Töne des geliebten Sprossers sich gleichsam abspiegeln wie ein sichtbares Echo! Welche Lust, wenn die Grisi singt und in ihrer Stimme der zärtliche Blick und das beglückte Lächeln des Mario melodisch widerhallt! Es ist ein liebliches Paar, und der persische Dichter, der die Nachtigall die Rose unter den Vögeln und die Rose wieder die Nachtigall unter den Blumen genannt hat, würde hier erst recht in ein Imbroglio geraten, denn jene beiden, Mario und Grisi, sind nicht bloß durch Gesang, sondern auch durch Schönheit ausgezeichnet.
    Ungern, trotz jenem reizenden Paar, vermissen wir hier bei den Buffos Pauline Viardot oder, wie wir sie lieber nennen, die Garcia. Sie ist nicht ersetzt, und niemand kann sie ersetzen. Diese ist keine Nachtigall, die bloß ein Gattungstalent hat und das Frühlingsgenre vortrefflich schluchzt und trillert; – sie ist auch keine Rose, denn sie ist häßlich, aber von einer Art Häßlichkeit, die edel, ich möchte fast sagen schön ist und die den großen Löwenmaler Lacroix manchmal bis zur Begeisterung entzückte! In der Tat, die Garcia mahnt weniger an die zivilisierte Schönheit und zahme Grazie unsrer europäischen Heimat als vielmehr an die schauerliche Pracht einer exotischen Wildnis, und in manchen Momenten ihres passionierten Vortrags, zumal, wenn sie den großen Mund mit den blendend weißen Zähnen überweit öffnet und so grausam süß und anmutig fletschend lächelt: dann wird einem zumute, als müßten jetzt auch die ungeheuerlichen Vegetationen und Tiergattungen Hindostans oder Afrikas zum Vorschein kommen; – man meint, jetzt müßten auch Riesenpalmen, umrankt von tausendblumigen Lianen, emporschießen; – und man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich ein Leoparde oder eine Giraffe oder sogar ein Rudel Elefantenkälber über die Szene liefen. Wir hören mit großem Vergnügen, daß diese Sängerin wieder auf dem Wege nach Paris ist.
    Während die Académie de musique aufs jammervollste darniederlag und die Italiener sich ebenfalls betrübsam hinschleppten, erhob sich die dritte lyrische Szene, die Opéra comique, zu ihrer fröhlichsten Höhe. Hier überflügelte ein Erfolg den andern, und die Kasse hatte immer einen guten Klang. Ja, es wurde noch mehr Geld als Lorbeeren eingeerntet, was gewiß für die Direktion kein Unglück gewesen. Die Texte der neuen Opern, die sie gab, waren immer von Scribe, dem Manne, der einst das große Wort aussprach: »Das Gold ist eine Schimäre!« und der dennoch dieser Schimäre beständig nachläuft. Er ist der Mann des Geldes, des klingenden Realismus, der sich nie versteigt in die Romantik einer unfruchtbaren Wolkenwelt und sich festklammert an der irdischen Wirklichkeit der Vernunftheirat, des industriellen Bürgertums und der Tantieme. Einen ungeheuren Beifall findet Scribes neue Oper »Die Sirene«, wozu Auber die Musik geschrieben. Autor und Komponist passen ganz füreinander: sie haben den raffiniertesten Sinn für das Interessante, sie wissen uns angenehm zu unterhalten, sie entzücken und blenden uns sogar durch die glänzenden Facetten ihres Esprits, sie besitzen ein gewisses Filigrantalent der Verknüpfung allerliebster Kleinigkeiten, und man vergißt bei ihnen, daß es eine Poesie gibt. Sie sind eine Art Kunstloretten, welche alle Gespenstergeschichten der Vergangenheit aus unsrer Erinnerung fortlächeln und mit ihrem koketten Getändel wie mit Pfauenfächern die sumsenden Zukunftgedanken, die unsichtbaren Mücken, von uns abwedeln. Zu dieser harmlos buhlerischen Gattung gehört auch Adam, der mit seinem »Cagliostro« ebenfalls in der Opéra comique sehr leichtfertige Lorbeeren eingeerntet. Adam ist eine liebenswürdige, erfreuliche Erscheinung und ein Talent, welches noch großer Entwicklung fähig ist. Eine rühmliche Erwähnung verdient auch Thomas, dessen Operette »Mina« viel Glück gemacht.
    Alle diese Triumphe übertraf jedoch die Vogue des »Deserteurs«, einer alten Oper von Monsigny, welche die Opéra comique aus den Kartons der Vergessenheit hervorzog. Hier ist echt französische Musik, die heiterste Grazie, eine harmlose Süße, eine Frische wie der Duft von Waldblumen, Naturwahrheit, sogar Poesie. Ja, letztere fehlt nicht, aber es ist eine Poesie ohne

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