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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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nicht widerspreche und man mir keinen Abfall von meinen liberalen Prinzipien vorwerfen könne.« Aber nicht bloß beim Essen, sondern sogar in meiner Nachtsruhe inkommodierte mich Börne mit seiner patriotischen Exaltation. Er kam einmal um Mitternacht zu mir heraufgestiegen in meine Wohnung, weckte mich aus dem süßesten Schlaf, setzte sich vor mein Bett und jammerte eine ganze Stunde über die Leiden des deutschen Volks und über die Schändlichkeiten der deutschen Regierungen, und wie die Russen für Deutschland so gefährlich seien und wie er sich vorgenommen habe, zur Rettung Deutschlands gegen den Kaiser Nikolaus zu schreiben und gegen die Fürsten, die das Volk so mißhandelten, und gegen den Bundestag… Und ich glaube, er hätte bis zum Morgen in diesem Zuge fortgeredet, wenn ich nicht plötzlich, nach langem Schweigen, in die Worte ausbrach: »Sind Sie Gemeindeversorger?« –
    Nur zweimal habe ich ihn seitdem wieder gesprochen. Das eine Mal bei der Heirat eines gemeinsamen Freundes, der uns beide als Zeugen gewählt, das andere Mal auf einem Spaziergang in den Tuilerien, dessen ich bereits erwähnte. Bald darauf erschien der dritte und vierte Teil seiner »Pariser Briefe«, und ich vermied nicht bloß jede Gelegenheit des Zusammentreffens, sondern ich ließ ihn auch merken, daß ich ihm geflissentlich auswich, und seit der Zeit habe ich ihm zwar zwei- oder dreimal begegnet, aber nie habe ich seitdem ein einziges Wort mit ihm gesprochen. Bei seiner sanguinischen Art wurmte ihn das bis zur Verzweiflung, und er setzte alle möglichen Erfindungen ins Spiel, um mir wieder freundschaftlich nahen zu dürfen oder wenigstens eine Unterredung mit mir zu bewirken. Ich hatte also nie im Leben mit Börne einen mündlichen Disput, nie sagten wir uns irgendeine schwere Beleidigung; nur aus seinen gedruckten Reden merkte ich die lauernde Böswilligkeit, und nicht verletztes Selbstgefühl, sondern höhere Sorgen und die Treue, die ich meinem Denken und Wollen schuldig bin, bewogen mich, mit einem Mann zu brechen, der meine Gedanken und Bestrebungen kompromittieren wollte. Solches hartnäckige Ablehnen ist aber nicht ganz in meiner Art, und ich wäre vielleicht nachgiebig genug gewesen, mit Börne wieder zu sprechen und Umgang zu pflegen… zumal, da sehr liebe Personen mich mit vielen Bitten angingen und die gemeinschaftlichen Freunde oft in Verlegenheit gerieten bei Einladungen, deren ich keine annahm, wenn ich nicht vorher die Zusicherung erhielt, daß Herr Börne nicht geladen sei… noch außerdem rieten mir meine Privatinteressen, den grimmblütigen Mann durch solches strenge Zurückweisen nicht allzusehr zu reizen… aber ein Blick auf seine Umgebung, auf seine lieben Getreuen, auf den vielköpfigen und mit den Schwänzen zusammengewachsenen Rattenkönig, dessen Seele er bildete, und der Ekel hielt mich zurück von jeder neuen Berührung mit Börne.
    So vergingen mehrere Jahre, drei, vier Jahre, ich verlor den Mann auch geistig aus dem Gesicht, selbst von jenen Artikeln, die er in französischen Zeitschriften gegen mich schrieb und die im ehrlichen Deutschland so verleumderisch ausgebeutet wurden, nahm ich wenig Notiz, als ich eines späten Herbstabends die Nachricht erhielt, Börne sei gestorben.
    Wie man mir sagt, soll er seinen Tod selbst verschuldet haben, durch Eigensinn, indem er sich lange weigerte, seinen Arzt, den vortrefflichen Dr. Sichel, rufen zu lassen. Dieser nicht bloß berühmte, sondern auch sehr gewissenhafte Arzt, der ihn wahrscheinlich gerettet hätte, kam zu spät, als der Kranke bereits eine terroristische Selbstkur an sich vorgenommen und seinen ganzen Körper ruiniert hatte.
    Börne hatte früher etwas Medizin studiert und wußte von dieser Wissenschaft grade soviel, als man eben braucht, um zu töten. In der Politik, womit er sich später abgab, waren seine Kenntnisse wahrlich nicht viel bedeutender.
    Ich habe seinem Begräbnisse nicht beigewohnt, was unsere hiesigen Korrespondenzler nicht ermangelten, nach Deutschland zu berichten, und was zu bösen Auslegungen Gelegenheit gab. Nichts ist aber törichter, als in jenem Umstande, der rein zufällig sein konnte, eine feindselige Härte zu erblicken. Die Toren, sie wissen nicht, daß es kein angenehmeres Geschäft gibt, als dem Leichenbegängnisse eines Feindes zu folgen!
    Ich war nie Börnes Freund, und ich war auch nie sein Feind. Der Unmut, den er manchmal in mir erregen konnte, war nie bedeutend, und er büßte dafür hinlänglich durch das

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