Sämtliche Werke
jedoch vom geistigen Exil kann nur ein deutscher Dichter sich eine Vorstellung machen, der sich gezwungen sähe, den ganzen Tag französisch zu sprechen, zu schreiben und sogar des Nachts am Herzen der Geliebten französisch zu seufzen! Auch meine Gedanken sind exiliert, exiliert in eine fremde Sprache.
Glücklich sind die, welche in der Fremde nur mit der Armut zu kämpfen haben, mit Hunger und Kälte, lauter natürlichen Übeln… Durch die Luken ihrer Dachstuben lacht ihnen der Himmel und alle seine Sterne… Oh, goldenes Elend mit weißen Glacéhandschuhen, wie bist du unendlich qualsamer!… Das verzweifelnde Haupt muß sich frisieren lassen, wo nicht gar parfümieren, und die zürnenden Lippen, welche Himmel und Erde verfluchen möchten, müssen lächeln und immer lächeln…
Glücklich sind die, welche, über das große Leid, am Ende ihr letztes bißchen Verstand verloren und ein sicheres Unterkommen gefunden in Charenton oder in Bicêtre, wie der arme F., wie der arme B., wie der arme L. und so manche andere, die ich weniger kannte… Die Zelle ihres Wahnsinns dünkt ihnen eine geliebte Heimat, und in der Zwangsjacke dünken sie sich Sieger über allen Despotismus, dünken sie sich stolze Bürger eines freien Staates… Aber das alles hätten sie zu Hause ebensogut haben können!
Nur der Übergang von der Vernunft zur Tollheit ist ein verdrießlicher Moment und gräßlich… Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie der F. zum letzten Male zu mir kam, um ernsthaft mit mir zu verhandeln, daß man auch die Mondmenschen und die entferntesten Sternenbewohner in den großen Völkerbund aufnehmen müsse. Aber wie soll man ihnen unsere Vorschläge ankündigen? Das war die große Frage. Ein anderer Patriot hatte in ähnlicher Absicht eine Art kolossaler Spiegel erdacht, womit man Proklamationen mit Riesenbuchstaben in der Luft abspiegelt, so daß die ganze Menschheit sie auf einmal lesen könnte, ohne daß Zensor und Polizei es zu verhindern vermöchten… Welches staatsgefährliche Projekt!
Und doch geschieht dessen keine Erwähnung in dem Bundestagsberichte über die revolutionäre Propaganda!
Am glücklichsten sind wohl die Toten, die im Grabe liegen, auf dem Père-Lachaise, wie du, armer Börne!
Ja, glücklich sind diejenigen, welche in den Kerkern der Heimat, glücklich die, welche in den Dachstuben des körperlichen Elends, glücklich die Verrückten im Tollhaus, am glücklichsten die Toten! Was mich betrifft, den Schreiber dieser Blätter, ich glaube mich am Ende gar nicht so sehr beklagen zu dürfen, da ich des Glückes aller dieser Leute gewissermaßen teilhaft werde, durch jene wunderliche Empfänglichkeit, jene unwillkürliche Mitempfindung, jene Gemütskrankheit, die wir bei den Poeten finden und mit keinem rechten Namen zu bezeichnen wissen. Wenn ich auch am Tage wohlbeleibt und lachend dahinwandle durch die funkelnden Gassen Babylons, glaubt mir’s! sobald der Abend herabsinkt, erklingen die melancholischen Harfen in meinem Herzen, und gar des Nachts erschmettern darin alle Pauken und Zimbeln des Schmerzes, die ganze Janitscharenmusik der Weltqual, und es steigt empor der entsetzlich gellende Mummenschanz…
O welche Träume! Träume des Kerkers, des Elends, des Wahnsinns, des Todes! Ein schrillendes Gemisch von Unsinn und Weisheit, eine bunte vergiftete Suppe, die nach Sauerkraut schmeckt und nach Orangenblüten riecht! Welch ein grauenhaftes Gefühl, wenn die nächtlichen Träume das Treiben des Tages verhöhnen und aus den flammenden Mohnblumen die ironischen Larven hervorgucken und Rübchen schaben und die stolzen Lorbeerbäume sich in graue Disteln verwandeln und die Nachtigallen ein Spottgelächter erheben…
Gewöhnlich, in meinen Träumen, sitze ich auf einem Eckstein der Rue Laffitte an einem feuchten Herbstabend, wenn der Mond auf das schmutzige Boulevardpflaster herabstrahlt mit langen Streiflichtern, so daß der Kot vergoldet scheint, wo nicht gar mit blitzenden Diamanten übersät… Die vorübergehenden Menschen sind ebenfalls nur glänzender Kot: Stockjobbers, Spieler, wohlfeile Skribenten, Falschmünzer des Gedankens, noch wohlfeilere Dirnen, die freilich nur mit dem Leibe zu lügen brauchen, satte Faulbäuche, die im Café de Paris gefüttert worden und jetzt nach der Académie de musique hinstürzen, nach der Kathedrale des Lasters, wo Fanny Elßler tanzt und lächelt… Dazwischen rasseln auch die Karossen und springen die Lakaien, die bunt wie Tulpen und gemein wie ihre
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