Sämtliche Werke
zu Jahr; Belagerungen, Schlachten
Und jedes Schicksal, das ich überstand.
Ich lief sie durch, von meinem Knabenalter
Bis zu dem Augenblick, wo er gebot,
Sie zu erzählen. Sprechen mußt ich da
Von höchst unglücklichen Ereignissen,
Von rührendem Geschick zu See und Land,
Wie in der Bresche ich gewissem Tod
Kaum um die Breite eines Haars entwischte;
Wie mich ein trotz’iger Feind gefangennahm,
Der Sklaverei verkaufte; wie ich mich
Daraus gelöst, und die Geschichte dessen,
Wie ich auf meinen Reisen mich benahm.
Von öden Höhlen, unfruchtbaren Wüsten,
Von rauhen Gruben, Felsen, Hügeln, die
Mit ihren Häuptern an den Himmel rühren,
Hatt ich sodann zu sprechen Anlaß, auch
Von Kannibalen, die einander fressen,
Anthropophagen, und dem Volke, dem
Die Köpfe wachsen unter ihren Schultern.
Von solchen Dingen zu vernehmen, zeigte
Bei Desdemona sich sehr große Neigung;
Doch riefen Hausgeschäfte stets sie ab,
Die sie beseitigte mit schnellster Hast;
Kam sie zurück, mit gier’gem Ohr verschlang sie,
Was ich erzählte. Dies bemerkend, nahm
Ich eine weiche Stunde wahr und fand
Gelegne Mittel, ihr aus ernster Brust
Die Bitte zu entwinden: daß ausführlich
Ich schildre ihr die ganze Pilgerschaft,
Von der sie stückweis’ etwas wohl gehört,
Doch nicht zusammenhängend. Ich gewährt es,
Und oft hab ich um Tränen sie gebracht,
Wenn ich von harten, traur’gen Schlägen sprach,
Die meine Jugend trafen! Auserzählt,
Lohnt eine Welt voll Seufzer meine Müh’.
Sie schwor: In Wahrheit! seltsam, mehr als seltsam!
Und kläglich sei es, kläglich wundersam!
Sie wünschte, daß sie nichts davon gehört,
Und wünschte doch, daß sie der Himmel auch
Zu solchem Mann gemacht. Sie dankte mir
Und bat, wofern ein Freund von mir sie liebe,
Ihn nur zu lehren, wie er die Geschichte
Von meinem Leben müss’ erzählen.
Dann werb’ er sie. Ich sprach auf diesen Wink:
Sie liebe mich, weil ich Gefahr bestand,
Und weil sie mich bedaure, lieb’ ich sie.
Dieses Trauerspiel soll eine der letzten Arbeiten Shakespeares gewesen sein, wie »Titus Andronicus« für sein Erstlingswerk erklärt wird. Dort wie hier ist die Leidenschaft einer schönen Frau zu einem häßlichen Mohren mit Vorliebe behandelt. Der reife Mann kehrte wieder zurück zu einem Problem, das einst seine Jugend beschäftigte. Hat er jetzt wirklich die Lösung gefunden? Ist diese Lösung ebenso wahr als schön? Eine düstre Trauer erfaßt mich manchmal, wenn ich dem Gedanken Raum gebe, daß vielleicht der ehrliche Jago, mit seinen bösen Glossen über die Liebe Desdemonas zu dem Mohren, nicht ganz unrecht haben mag. Am allerwiderwärtigsten aber berühren mich Othellos Bemerkungen über die feuchten Hände seiner Gattin.
Ein ebenso abenteuerliches und bedeutsames Beispiel der Liebe zu einem Mohren, wie wir in »Titus Andronicus« und »Othello« sehen, findet man in »Tausendundeine Nacht«, wo eine schöne Fürstin, die zugleich eine Zauberin ist, ihren Gemahl in einer statuenähnlichen Starrheit gefesselt hält und ihn täglich mit Ruten schlägt, weil er ihren Geliebten, einen häßlichen Neger, getötet hat. Herzzerreißend sind die Klagetöne der Fürstin am Lager der schwarzen Leiche, die sie durch ihre Zauberkunst in einer Art von Scheinleben zu erhalten weiß und mit verzweiflungsvollen Küssen bedeckt und durch einen noch großem Zauber, durch die Liebe, aus dem dämmernden Halbtode zu voller Lebenswahrheit erwecken möchte. Schon als Knabe frappierte mich in den arabischen Märchen dieses Bild leidenschaftlicher und unbegreiflicher Liebe.
Jessica
(Kaufmann von Venedig)
Als ich dieses Stück in Drurylane aufführen sah, stand hinter mir, in der Loge, eine schöne blasse Britin, welche am Ende des vierten Aktes heftig weinte und mehrmals ausrief: »The poor man is wronged!« (Dem armen Mann geschieht Unrecht!) Es war ein Gesicht vom edelsten griechischen Schnitt, und die Augen waren groß und schwarz. Ich habe sie nie vergessen können, diese großen und schwarzen Augen, welche um Shylock geweint haben!
Wenn ich aber an jene Tränen denke, so muß ich den »Kaufmann von Venedig« zu den Tragödien rechnen, obgleich der Rahmen des Stückes von den heitersten Masken, Satyrbildern und Amoretten verziert ist und auch der Dichter eigentlich ein Lustspiel geben wollte. Shakespeare hegte vielleicht die Absicht, zur Ergötzung des großen Haufens einen gedrillten Werwolf darzustellen, ein verhaßtes Fabelgeschöpf, das nach Blut
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