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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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möglich, weil sein Vater an dem Nationalvergehen teilgenommen und er selbst zu den Vorkämpen der Revolution einst gehörte. Ludwig Philipp war ein großer und edler König. Er besaß alle bürgerlichen Tugenden eines Bourgeois und kein einziges Laster eines Grandseigneur. Er saß gut zu Pferd und hatte zu Jemappes und Valmy gefochten. Frau von Genlis leitete seine Erziehung, und er war wissenschaftlich gebildet wie ein Gelehrter; auch konnte er im Falle der Not durch Unterricht in der Mathematik sein Brot verdienen oder einen Bedienten, den der Schlag getroffen, gleich zur Ader lassen, weshalb er auch ein Feldschereretui beständig bei sich trug. Er war höflich, großmütig und verzieh ebensowohl seinen legitimistischen Verleumdern wie seinen republikanischen Meuchelmördern; er fürchtete nicht die Kugeln, womit die eigne Brust bedroht war, doch als es galt, auf das Volk schießen zu lassen, überschlich ihn die alte philanthropische Weichherzigkeit, und er warf die Krone von sich, ergriff seinen Hut und nahm seinen alten Regenschirm und seine Frau unter den Arm und empfahl sich. Er war ein Mensch. Fabelhaft groß war sein Reichtum, und doch blieb er arbeitsam wie der ärmste Handwerker. Er war vakziniert; ist auch nie von den Pocken heimgesucht worden. Er war gerecht und brach nie den Eid, den er den Gesetzen geschworen. Er gab den Franzosen achtzehn Jahre Frieden und Freiheit. Er war genügsam, keusch und hatte nur eine einzige Geliebte, welche Marie Amalie hieß. Er war tolerant und liebte die Jesuiten nicht. Er war das Muster eines Königs, ein Marc Aurel mit einem modernen Toupet, ein gekrönter Weiser, ein ehrlicher Mann – Und dennoch konnten ihn die Franzosen auf die Länge nicht behalten, denn er war nicht nationalen Ursprungs, er war nicht der Erwählte des Volks, sondern einer kleinen Koterie von Geldmenschen, die ihn auf den vakanten Thron gesetzt, weil er ihnen die beste Garantie ihrer Besitztümer dünkte und weil bei dieser Besetzung keine große Einrede von seiten der europäischen Aristokratie zu befürchten stand, die ja einst nicht so sehr aus Liebe für Ludwig XVIII. als vielmehr aus Haß gegen Napoleon, den einzigen, gegen den sie Krieg zu führen vorgab, die Restauration betrieben hatte. Ganz recht war es freilich den Fürsten des Nordens nicht, daß ihre Protegés so ohne Umstände fortgejagt wurden, aber sie hatten dieselben nie wahrhaft geliebt; Ludwig Philipps Quasilegitimität, seine erlauchte Geburt und sein sanftes Dulden erweichte endlich die hohen Unzufriedenen, und sie ließen sich den gallischen Hahn gefallen – weil er kein Adler war.
    Obgleich wir gern zugeben, daß man dem König Ludwig Philipp großes Unrecht getan, daß man ihn mit dem unwürdigsten Undank behandelt, daß er ein wahrer Märtyrer war und daß die Februarrevolution überhaupt sich als ein beklagenswertes Ereignis auswies, das unsäglich viel Unheil über die Welt brachte, so müssen wir nichtsdestoweniger gestehen, daß sie wieder für die Franzosen, deren Nationalgefühl dadurch erhoben worden, sowie auch für die Demokratie im allgemeinen, deren ideales Bewußtsein sich daran stärkte, eine große Genugtuung war. Doch vollständig war diese letztere noch nicht, und sie schlug bald über in eine klägliche Demütigung. Dieses verschuldeten jene ungetreuen Mandatare des Volks, die den großen Akt der Volkssouveränität, der ihnen die unumschränkteste Macht verlieh, durch ihr Ungeschick oder ihre Feigheit oder ihr Doppelspiel verzettelten. Ich will nicht sagen, daß sie schlechte Menschen waren; im Gegenteil, es wäre uns besser ergangen, wenn wir entschiedenen Bösewichtern in die Hände gefallen wären, die energisch und konsequent gehandelt und vielleicht viel Blut vergossen, aber etwas Großes für das Volk getan hätten. Ein ungeheures Verbrechen begingen jene guten Leute und schlechten Musikanten, die sich aus Ehrgeiz im Augenblick des entsetzlichsten Sturmes ans Steuerruder des Staates drängten und, ohne die geringsten Kenntnisse politischer Nautik, das Kommando des Schiffes übernahmen, als einzige Bussole nur ihre Eitelkeit konsultierend. Unvermeidlich war der Schiffbruch.
    Gleich in der ersten Stunde der Provisorischen Regierung, die sich eben diesen Namen gab, offenbarte sich das Unvermögen der kleinen Menschen. Schon dieser Name »Provisorische Regierung« bekundete offiziell ihre Zagnis und annullierte von vornherein alles, was sie etwa Tüchtiges für das vertrauende Volk, das ihnen die

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